Siegburg - Bernd Schneider hatte einen einzigen bescheidenen Wunsch. «Ich will nur noch aufs Sofa, die Beine hochlegen und bei meiner Familie sein.»
Erfüllt wurde er ihm nicht, der Mittelfeldspieler von Bayer Leverkusen musste wie seine vier Klubkollegen Michael Ballack, Oliver Neuville, Carsten Ramelow und Jörg Butt gestern Nachmittag im Trainingslager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Siegburg erscheinen. DFB-Teamchef Rudi Völler wollte sich ein Bild über den psychischen und physischen Zustand des Quintetts zwei Wochen vor dem Start der WM in Japan und Südkorea (31. Mai bis 30. Juni) machen.
Nach der strapaziösen Saison und den drei verspielten Titeln in Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League muss Völler fürchten, dass den Leverkusenern nicht nur die Fitness, sondern auch die Motivation fehlt. «Das kann ein Problem werden», räumte Bayer-Trainer Klaus Toppmöller ein. Er traue Völler indes «mit seiner ruhigen und sachlichen Art zu, dass er die Jungs aus dem Loch zieht».
Auf allzu viele Streicheleinheiten dürfen die Leverkusener jedoch nicht hoffen. Zwar verzichtet Völler heute im letzten WM-Test gegen Österreich in der BayArena (19 Uhr, ZDF live) auf das Quintett, damit die Blessuren auskuriert werden können - was bedeutet, dass Völler («Wir haben uns so vorbereitet, dass wir Österreich schlagen») vor dem ersten WM-Spiel am 1. Juni gegen Saudi-Arabien nicht ein einziges Mal seine Wunschelf aufbieten konnte. Auch seien «einige Tage der Trauer» erlaubt, dann müsse aber, so Völler, «der Schalter umgestellt werden, sie müssen trotz ihres totalen Frustes wissen, dass eine WM vor der Tür steht».
Dies habe er den Leverkusenern mitgeteilt: «Bis zur WM ist genug Zeit, den Kopf freizubekommen.» Schließlich habe auch der Franzose Zinedine Zidane vom Champions-League-Sieger Real Madrid nach verlorenen Europapokal-Finals «eine gute EM und WM gespielt. Das muss auch eine Herausforderung für Michael Ballack sein.»
Der Mittelfeldspieler, den seit Wochen eine schmerzhafte Fußentzündung plagt, hatte nach der Niederlage in Glasgow erklärt: «Eigentlich brauche ich jetzt acht Wochen Pause. Das wird immer wieder hochkommen.» Doch wollte Ballack zugleich den Eindruck vermeiden, vor seiner ersten WM-Teilnahme zu resignieren: «Wir haben die Möglichkeit, neue Ziele zu erreichen. Bei der WM können wir uns neu orientieren.»
So sieht es auch Schneider, obwohl der Kopf nach den drei Pleiten «total leer» sei und er sich nach den großen Belastungen «tot» fühle: «Die WM ist mein erstes großes Turnier, das ist Ansporn genug. Ich bin sehr stolz, dabei zu sein, und werde die letzten Kraftreserven mobilisieren.» Kämpferisch fügte er an: «Wir sind keine Loser. Wer das behauptet, hat keine Ahnung vom Fußball.»
Ein Trauma sei die Niederlage in Unterhaching vor zwei Jahren gewesen, durch die der sicher geglaubte Titel an die Bayern verloren wurde, «nach dem Erreichen von drei Endspielen jetzt von einem Trauma zu sprechen, ist Unsinn». Auch Carsten Ramelow erklärte: «Wir brauchen kein Mitleid.»
Die Mitspieler im Nationalteam haben bereits angekündigt, die Leverkusener schnell aufbauen zu wollen. Christian Ziege versprach jedenfalls: «Es wird keine Frotzeleien geben. Wir wollen sie auf unserer guten Stimmung mitnehmen.»
Wie die gute Stimmung über die 0:1-Blamage in Wales am Dienstag hinweggerettet werden konnte, blieb allerdings Zieges Geheimnis.
Aufs Sofa zur Familie kommt Bernd Schneider übrigens doch noch, wenn auch mit etwas Verspätung: Nach dem Spiel gegen Österreich (Rudi Völler: «Ich kann versprechen, dass wir ganz anders auftreten werden als in Wales») haben alle 23 Profis erst einmal drei Tage Urlaub. Erst am Dienstagabend trifft man sich in Neu-Isenburg wieder, ehe es am Mittwoch dann nach Japan geht.