Hamburg - Es war das neunte Masters-Spiel in zehn Tagen. Das Spiel, in dem Tommy Haas auch das Rauscherlebnis eines Centrecourt-Auftritts am heimatlichen Rothenbaum nicht mehr über Erschöpfung und Müdigkeit hinweg half.
Doch enttäuscht ging niemand am Donnerstagabend nach der 4:6, 4:6-Niederlage des einzigen deutschen Weltklasse-Spielers gegen Tommy Robredo (Spanien), nicht die 10 000 Zuschauer unterm Zeltdach, denen spektakuläre Aktionen am laufenden Band den Atem raubten. Und auch nicht Lokalmatador Haas selbst: «Wenn ich so verliere, tut es nicht weh», befand der Weltranglisten-Zweite, der sich in der besten Saison seiner sechsjährigen Profikarriere auch in seiner Heimatstadt gut und teuer verkaufte.
Selbst für den anstehenden Grand-Slam-Höhepunkt in Paris, die French Open, nahm der gescheiterte Achtelfinalist genügend Selbstbewusstsein und Sicherheit mit: Nach vielen Roland-Garros-Auftritten ohne Mut und Mumm und Erfolgen gehe er nun «mit breitem Rücken dahin» und wolle mindestens «die zweite Woche erreichen», so Haas.
Nicht nur Tommy Haas litt in Hamburg auch unter dem beklagenswerten Terminchaos im ATP-Wanderzirkus. Denn ausgerechnet vor dem strapaziösesten Grand-Slam-Turnier des Jahres in Paris zwingt die Spielerorganisation ihre Klienten zu einem Raubbau an Kräften und lässt ungerührt zwei Masters-Series-Wettbewerbe hintereinander stattfinden.
«Ein mörderisches Programm sei das», befand der ausgeschiedene US-Jungstar Andy Roddick, der ähnlich wie Haas vom Fluch der guten Taten in Rom verfolgt wurde. «Zwei Masters-Wochen in Serie - das ist extrem anstrengend für die Spieler», sagte der Russe Marat Safin, der im letzten Jahr monatelang unter so genannten Burn-Out-Symptomen litt.
Den Verpflichtungen im auszehrenden Tennisbetrieb können sich nur freischwebende Künstler wie Andre Agassi entziehen, der kurzerhand eine 40 000-Dollar-Strafe in Kauf nahm und auf den Start in Hamburg verzichtete. Sein Sieg in Rom, so ließ Altmeister Agassi wissen, mache nun eine «neue Turnierplanung erforderlich.»
Experten unterstützen den achtmaligen Grand-Slam-Champion zwar nicht in seinen kurzfristigen Rückzugsaktionen, die viele Turnierveranstalter Knall auf Fall ihrer Hauptattraktion berauben, aber den ganz persönlichen Arbeitsplan des Mannes aus Las Vegas findet einer wie der Ex-Weltranglistenerste Mats Wilander absolut vernünftig. «Andre weiß nach anderthalb Jahrzehnten auf der Tour genau, was man tun muss, um für die Höhepunkte der Saison in Form zu kommen», sagt der Schwede, «der verzichtet eben auf dieses unnötige Marathonprogramm.» Auch bei der ATP-Tour ist der Turnier-Overkill von Mitte April bis Anfang Juli mit seinen drei Masters-Wettbewerben (Monte Carlo, Rom, Hamburg) sowie zwei Grand Slams (Paris und Wimbledon) immer mal wieder auf der Agenda. Doch in den sportpolitischen Grabenkämpfen zwischen Europäern und Amerikanern in der Exekutive werden die fälligen Reformen mit schöner Regelmäßigkeit zerredet.
ATP-Chef Miles dringt bisher nicht mit seiner Vorstellung durch, Hamburg ein gemeinsames Zehn-Tage-Turnier zuzuschanzen und dafür die Italian Open aus dem Kalender zu streichen oder sie zu verlegen. Andererseits könnte die schwere Finanzkrise des Deutschen Tennis Bundes unfreiwillig für Terminentspannung sorgen. Denn sollten sich nicht in den nächsten sechs Wochen potente Geldgeber für das Traditionsturnier am Rothenbaum finden, drohte dem weltgrößten Tennisverband ausgerechnet zum Jubiläum seines 100-jährigen Bestehens der Verlust des erstklassigen Masters-Turnierstatus.
«Die Situation ist wirklich dramatisch», sagt ein Aufsichtsratsmitglied der DTB-Holding, «im Moment ist kein Ausweg aus der Krise erkennbar.» Vor allem die mangelnde Präsenz im Fernsehen drückt die Chancen, wieder Bares in die Kassen zu bekommen. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten zeigen den Tennis-Granden des DTB die kalte Schulter, auch, so sagt es ein ARD-Intendant, «weil wir nicht gerne ein Produkt zeigen, das von den eigenen Leuten im Tennis pausenlos schlecht geredet wird.» Einflussreiche Landesfürsten monieren immer unverhohlener eine Bunker-Mentalität von Präsident Georg von Waldenfels, der sich zurückziehe und alle Lösungsversuche «im Alleingang» anpacken wolle.
Unmut hat sich der ehemalige bayrische Finanzminister auch in den beiden Tennis-Wochen von Hamburg eingehandelt, in denen er, so ein Funktionärskollege, «durch überwiegende Abwesenheit geglänzt hat.» Beim Frauenturnier sei von Waldenfels, rechnete ein Mitarbeiter der Turnierorganisation vor, «gerade mal zwei Stunden vor Ort» gewesen. Zu wenig, um ein Signal für Sponsoren, aber auch für politische Gremien in der Hansestadt und die Medien zu setzen.
Am Wochenende versammeln sich Präsidium, Aufsichtsrat und Bundesausschuss zu ihren traditionellen Zusammenkünften in Hamburg. Früher, in den goldenen Zeiten des DTB, waren das Termine, auf die sich die Regionalbosse noch freuen durften. Termine mit rauschenden Festivitäten, Vip-Tickets und gar einem auserlesenen Damenprogramm. Damit wird es nichts in der Trübseligkeit des Jahres 2002: Der neue Geschäftsführer Jan Kohne hat kurzerhand ihren «Bunten Abend» gestrichen. Und weil niemand als möglicher Spesenritter an den Pranger gestellt werden will, muckt keiner auf.