Berlin - Am Anfang war die finale Tennisgeschichte der 95. German Open auf dem Centrecourt sonnenklar. Der Tisch mit dem Siegerpokal für die Championesse des Super-9-Turniers an der Hundekehle stand rein zufällig hinter der Bank von Justine Henin. 2:17 spannende Stunden, drei Sätze und viele hochklassige Ball- und Gefühlswechsel später war das Zeichen wahrhaftig geworden.
Mit 6:2, 1:6, 7:6 (7:5) besiegte die 19-jährige Belgierin, die in der Vorschlussrunde die topgesetzte Jennifer Capriati (USA) bereits sehenswert entzaubert hatte, vor nur gut 5000 Zuschauern die ein Jahr ältere US-Amerikanerin Serena Williams und gewann nicht nur 182 000 Dollar Preisgeld, sondern nach vier kleineren Wettbewerben ihr erstes Weltklasse-Event. «Es war ein großer Sieg und eine große Woche für mich, vor allem weil ich vier Mal drei Sätze spielen musste», meinte Henin, «und ich hatte keinen Druck im Finale. Ohne Druck bin ich die wahre Justine».
Im vergangenen Jahr hatte der Aufstieg des Jungprofis (seit 1999) mit dem Finaleinzug von Wimbledon begonnen, wo Henin an Serenas älterer Schwester Venus noch gescheitert war.
Allerdings bekam die zierliche Wallonin (1,67 m), deren Mutter früh verstarb und deren Vater als Postbeamter die Karriere der talentierten Tochter kaum finanzieren konnte, auch von der sieben Zentimeter größeren US-Open-Siegerin von 1999 in deren erstem Sandplatz-Finale nichts geschenkt. Es war ein schöner Kampf zweier konträrer Spielweisen: Williams Brachialgewalt und Physis gegen Henins Köpfchen und Variantenreichtum, den ihr Coach Rodriguez schon als 14-Jährige gefördert hat.
Die muskulöse Dame aus Palm Beach/Florida, die bis zum Endspiel lediglich vier Sätze aktiv war, konnte sich schnell davon überzeugen, dass auch in der Ruhe die große Kraft liegen kann. Im ersten Satz gab die belgische «Schokoladen-Rückhand» bereits eine Kostprobe davon ab, wie man ein Match taktisch aufbaut und im rechten Moment das Rechte tut. Allerdings produzierte Williams auch massenhaft Fehler, steigerte sich aber im zweiten Durchgang ganz enorm. «Unglaublich ihr zweiter Satz, unglaublich», schüttelte die in dieser Phase chancenlose Henin hinterher den Kopf. Da waren sie plötzlich wieder, der starke Aufschlag und die druckvolle «Vorhand-Peitsche», mit der die Nummer fünf im WTA-Ranking die gelbe Filzkugel ins Feld zu stöhnen pflegt.
Bei der Weltranglistenachten Justine Henin stieß das aber im entscheidenden Satz auf taube Ohren. Sie fand mit Slice und Topspin-Wechseln ins Spiel zurück, und Williams fightete jetzt zwar besser zurück, aber ihr erster Aufschlag ließ sie im Stich. Beim Stand von 5:5 im Tiebreak dann die wohl gewinnbringende Szene: Einen strammen Passierball kontert die Belgierin mit einem traumhaften Halbflugball, 6:5, dritter Matchball. Eine Williams-Vorhand segelt in Aus - und Henin ist am Ziel.
Auch Serena Williams brauchte sich nicht in ihrem Kopftuch zu verstecken: «Meine Enttäuschung hält sich in Grenzen, sie war einfach besser», befand die US-Powerfrau.
«Das war nur ein kleiner Schritt in meiner Karriere», kündigte die strahlende Siegerin weitere Großtaten in Rom und bei den French Open an. «Ich habe mir im Tiebreak einfach gesagt, bleibe ruhig und konzentriere dich nur auf den nächsten Punkt. Und ich habe gemerkt, dass Serena müde wurde», beschrieb der Shootingstar die heiße Schlussphase des allerdings nur im dritten Satz hochklassigen Matches. In der Ruhe liegt eben manchmal die größere Kraft.