Berlin: Der Druck auf Klaus Wowereit steigt. Er soll öffentlich erklären, ob er noch einmal Regierender Bürgermeister werden will
Es rumort in der Berliner SPD. Der vor vier Monaten geschlossene Burgfrieden rund um die Wiederwahl des Landeschefs Jan Stöß zerbröckelt, die alten Gräben brechen wieder auf. Den Grund dafür liefert erneut die Nachfolgefrage für das Amt des Regierenden Bürgermeisters. Klaus Wowereit müsse sich noch in diesem Jahr dazu äußern, ob er ein viertes Mal zur Wahl antreten wolle oder nicht, fordert jetzt der SPD-Kreisvorsitzende aus Marzahn-Hellersdorf, Stefan Komoß. In der Partei wächst zwei Jahre vor dem Wahltermin die Nervosität, weil die Umfragewerte weiter sinken. Meinungsumfragen sehen die SPD nur noch bei 21 Prozent. Noch düsterer sieht es beim Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit aus. Lange Jahre führte er die Reihe der beliebtesten Politiker souverän an, jetzt trägt er die rote Laterne als unbeliebtester Politiker der Stadt.
Viele Berliner Sozialdemokraten sehen darin einen Zusammenhang: Wowereit wird mit dem Desaster am Hauptstadtflughafen BER verbunden und zieht damit die Partei nach unten. Sie fordern Klarheit. Der Druck auf Wowereit wächst, sich zu entscheiden, wie es mit ihm weitergeht. Außer Komoß, der als Vertrauter des SPD-Landeschefs Jan Stöß gilt, will öffentlich vorerst kein anderer ein entsprechendes Bekenntnis fordern. Kritik an dem Vorstoß kommt aus Reinickendorf. „Der Zeitpunkt der Forderung ist absurd“, sagt Reinickendorfs SPD-Chef, Jörg Stroedter. „Keine Partei stellt ihren Spitzenkandidaten zwei Jahre und einen Monat vor der Wahl auf.“ Zudem ruhe der Politikbetrieb in der Stadt. Kein Parteigremium tage. „Was soll im Sommerloch bewegt werden?“, so Stroedter.
Deshalb wird der Vorstoß aus Marzahn-Hellersdorf als Vorbereitung interpretiert, bereits auf der Klausurtagung des Landesvorstandes am 26. September über die Zukunft der SPD zu sprechen. Dort sollen Strategien für den Wahlkampf 2016 beraten werden. Das geht nach Ansicht einiger Sozialdemokraten nicht, ohne die Frage Wowereit zu diskutieren. Allerdings finden das nicht alle gut. „Das schadet am Ende nur der Partei“, sagt ein SPD-Kreischef, der ungenannt bleiben will. „Wer glaubt, sich gegen Wowereit zum Nachfolger ernennen lassen zu können, liegt falsch“, heißt es bei Wowereits Anhängern.
Sorge in der Partei wächst
Doch die Diskussion um die Nachfolge Wowereits schwelt – auch in diesem Sommer. Und dies, obwohl Wowereit selbst immer wieder sagt, er entscheide Ende 2015, ob er ein weiteres Mal für das Amt des Regierenden Bürgermeisters kandidiere. „Ich bin froh, dass die Debatte um den richtigen Zeitpunkt begonnen hat“, sagt dagegen der SPD-Kreisvorsitzende Komoß, der das Thema jetzt öffentlich gemacht hat. „Es kann nicht sein, dass die Partei erst Ende 2015 darüber entscheidet, wer Spitzenkandidat wird.“ Das heiße aber nicht, dass er gegen eine weitere Kandidatur Wowereits sei. Zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister müsse ein vernünftiges Verfahren gefunden werden, mit welchem Personal in den kommenden Wahlkampf gezogen werde. Und zwar am besten noch in diesem Jahr. „Das hilft der Partei und das hilft der Stadt“, sagt Komoß. Das sieht der Kreischef von Treptow-Köpenick und Bürgermeister des Bezirks Oliver Igel, anders. „Natürlich muss man sich mit der Frage beschäftigen, wie wir Vertrauen zurückgewinnen können, aber das gehört in die dazu vorgesehenen Gremien und nicht in die Öffentlichkeit“, sagt Igel. Derzeit verfüge keiner der genannten Kandidaten über eine qualifizierte Mehrheit in der Partei, deshalb sei es wichtig, zunächst das Verfahren zu bestimmen. Ein „wilder parteiinterner Wahlkampf“ um die Nachfolge Wowereits würde nach Ansicht Igels dazu führen, dass die SPD noch schlechter dastehe als bislang.
Am deutlichsten buhlen SPD-Landeschef Jan Stöß und Fraktionschef Raed Saleh um die Nachfolge. Gemeinsam hatten sie nach der Abgeordnetenhauswahl 2011 den damaligen Landes- und Fraktionschef Michael Müller aus dem Amt gedrängt. Inzwischen ist das Verhältnis zwischen den ehemaligen Vertrauten deutlich abgekühlt. Die beiden SPD-Spitzenpolitiker reden nur noch wenig miteinander. Der Parteivorsitzende Stöß sieht sich mit der erfolgreichen Wiederwahl zum Landeschef in der Pole-Position um die Wowereit-Nachfolge und drängt wie Komoß auf eine schnelle Entscheidung. Saleh sieht die Fraktion auf seiner Seite. Und ohne die Fraktion im Rücken, sei keine Mehrheit zu holen, heißt es bei Salehs Unterstützern. Zudem sieht Saleh sich näher am Regierenden Bürgermeister. Stöß dagegen hat sich mit seiner forschen Rücktrittsforderung gegen Kultur-Staatssekretär André Schmitz, als dessen Steuervergehen öffentlich wurden, Wowereits Sympathien verspielt. Welches Lager die Mehrheit in der Berliner SPD hat, ist derzeit aber unklar.
Von Stöß’ Unterstützern heißt es, es gebe eine Einigung zwischen Stöß und Saleh. Stöß werde Spitzenkandidat, Saleh könne sich jedes andere Amt aussuchen – sei es den Fraktionsvorsitz oder einen Senatorenposten. Dieser Darstellung widerspricht das Saleh-Lager vehement. Weder gebe es eine derartige Einigung, noch werde es sie geben. Das sei als „verzweifelter Versuch“ von Stöß zu werten, die Vorhand zu behalten. Hatten beide Seiten noch im Mai versichert, nach der Wiederwahl von Stöß zum SPD-Landesvorsitzenden werde man wieder gemeinsam die politische Zukunft der Stadt gestalten, sieht es derzeit wieder nach internem Streit aus. Die SPD blockiert sich selbst. Weder Stöß noch Saleh wollten sich dazu äußern.
Doch die beiden Politiker sind nicht allein. Wieder mit im Rennen ist wohl Stadtentwicklungssenator, Michael Müller. Nach seiner Abwahl als SPD-Chef galt er lange als chancenlos. Doch der andauernde Streit zwischen Saleh und Stöß hat die Aufmerksamkeit wieder auf ihn gerichtet. Sollten die beiden Kronprinzen es nicht schaffen, die Partei von sich zu überzeugen, könnte Müller der lachende Dritte sein. Als Neuanfang für eine Nach-Wowereit-Ära wäre Müller allerdings kaum zu vermitteln. Zu lange führte er die Geschicke zusammen mit Wowereit im rot-roten Senat.
Eine Frau könnte profitieren
Vom Zweikampf zwischen Stöß und Saleh könnte als vierte Kandidatin auch die Bundestagsabgeordnete Eva Högl profitieren. Sie hat sich bislang aus allen Flügelkämpfen weitgehend herausgehalten und wurde zuletzt auch von hohen Parteifunktionären als mögliche Kandidatin genannt. Sie hat sich in den vergangenen Jahren nicht auf der landespolitischen Ebene verkämpft, sondern in anderen Funktionen ein wirkungsvolles Netzwerk aufgebaut.
Ambitionen werden auch der Arbeitssenatorin Dilek Kolat nachgesagt. Sie selbst hält sich in der Frage jedoch bedeckt. Es gibt einige wenige Unterstützer, aber mindestens genau so viele innerparteiliche Gegner. Sie selbst hat seit Jahren Mühe, den eigenen Kreisverband zu befrieden. Auch hier stehen sich zwei Lager unerbittlich gegenüber. Einige Sozialdemokraten rechnen auch Finanzsenator Ulrich Nußbaum Chancen aus, sollte es zu einem Mitgliederentscheid unter allen SPD-Mitgliedern kommen. Allerdings hat er kein Parteibuch und in der Berliner SPD nicht nur Freunde.
Und Wowereit? Der Regierende Bürgermeister sieht sich das Treiben aus der sicheren Entfernung des Roten Rathauses an. Es gehört zu seinem Regierungsprinzip, sich nicht treiben zu lassen. Wenn jemand mit Druck umgehen kann, dann Wowereit. Aus seinem Umfeld wird allerdings berichtet, dass der Regierende Bürgermeister ganz genau registriert, wer was in diesen Monaten äußert, wer sich loyal und wer sich illoyal verhält.
Klar ist allen, ohne den Chef geht auch in der Frage seiner Nachfolge nichts. „Er hat drei Wahlen für die Berliner SPD gewonnen und ist immer als Nummer eins eingelaufen“, sagt Reinickendorfs SPD-Chef Stroedter. Jetzt solle man Wowereit auch Zeit lassen zu entscheiden, wie es weitergehe, so Stroedter. Das sehen die meisten in der SPD genauso. Es ist gut möglich, dass Wowereit sich selbst noch nicht entschieden hat. Ein wichtiger Hinweis wird im Herbst erfolgen. Dann soll Flughafenchef Hartmut Mehdorn einen neuen Öffnungstermin für den BER nennen. Sollte der Zeitpunkt nach der Abgeordnetenhauswahl 2016 liegen, könnte Wowereit schnell den Stab an einen Nachfolger weiterreichen.