Der Senat und Wirtschaftsverbände appellieren an die Berliner, mit „Nein“ zu stimmen

Der Berliner Senat hält den Gesetzentwurf des Energietischs in wesentlichen Teilen für überflüssig und in anderen Teilen für falsch. Er empfiehlt den Berlinern daher, mit „Nein“ zu stimmen. Im Wesentlichen gibt es nach Ansicht des Senats drei Kritikpunkte:

Demnach ist der Volksentscheid überflüssig, weil die zentrale Forderung der Initiatoren vom Energietisch bereits erfüllt ist: Das Land hat ein Stadtwerk gegründet. Für das vom Energietisch geforderte Stadtwerk gebe es zudem keine Kontrollmechanismen, obwohl die Berliner Steuerzahler für die Risiken des Stadtwerkes haften müssen. Bei bestehenden Anstalten wie der BVG, der BSR oder den Berliner Wasserbetrieben habe der Gesetzgeber sichergestellt, dass in den Kontrollgremien das Gesamtinteresse Berlins angemessen berücksichtigt werde. Der Gesetzentwurf sehe etwas Vergleichbares nicht vor. „Stimmen Sie gegen finanzielle Risiken in Milliardenhöhe“, heißt es in der Stellungnahme des Senats zum Volksentscheid.

Überflüssig ist nach Auffassung des Senats auch die geforderte Gründung einer landeseigenen Netzgesellschaft. „Das Land Berlin beteiligt sich seit 2012 mit dem Landesbetrieb Berlin Energie am laufenden Vergabeverfahren für das Berliner Stromnetz“, lautet die Gegenargumentation der Landesregierung. Eine neu gegründete Anstalt könne sich demnach an diesem Ausschreibungsverfahren gar nicht mehr beteiligen. EU-Vorgaben sehen zudem ein transparentes und diskriminierungsfreies Verfahren vor, so dass die geforderte Vergabe des Netzes an eine eigene Gesellschaft rechtlich nicht möglich sei. „Stimmen Sie gegen die überflüssige Gründung einer weiteren Netzgesellschaft“, heißt es in der Entgegnung des Senates.

Schließlich könne das Land keinen Einfluss auf den durch das Netz fließenden Strom nehmen, auch wenn es das Netz von Vattenfall übernimmt. Aufgrund bundesgesetzlicher Regelungen sei der Netzbetreiber verpflichtet, jedem Unternehmen den Zugang zum Stromnetz zu gewähren. Es würde daher auch weiter Atom- oder Kohlestrom durch das Berliner Netz geleitet. „Die vom Energietisch verfolgte ausschließliche Versorgung Berlins mit Ökostrom ignoriert diese Tatsache“, so der Senat.

Keine Senkung des Strompreises

Zudem sei das vom Energietisch erklärte Ziel, das Energienetz für die Einbindung von dezentralen und erneuerbaren Erzeugungsanlagen fit zu machen, schon jetzt Rechtslage. Bereits heute ist demnach jeder Netzbetreiber verpflichtet, entsprechende Anlagen an sein Netz anzuschließen und das Netz dafür entsprechend auszubauen. Dies geschehe auch in Berlin. „Unterstützen Sie kein Gesetz, das der Berliner Energiewende keine neuen Impulse gibt und wichtige Fakten ignoriert“, appelliert der Senat daher an die Berliner.

Auch weite Teile der Wirtschaft haben sich dafür ausgesprochen, die Forderungen des Energietisches beim heutigen Volksentscheid abzulehnen. Mit Unternehmensverbänden, Handwerksinnungen, der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie, dem Steuerzahlerbund und dem Verband Freier Wohnungsunternehmen hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) ein „Faktenbündnis Stromentscheid“ geschmiedet, um den Argumenten des Berliner Energietisches entgegenzutreten. „Wenn Berlin ein eigenes Stromnetz und ein eigenes Stadtwerk betreibt, wird Strom weder grüner noch billiger“, warnt IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder vor dem Volksentscheid.

Das Hauptargument des Wirtschaftsbündnisses lautet, dass Berlin sich nicht in ein finanzielles Wagnis begeben dürfe, ohne dass energiepolitisch wesentliche Fortschritte zu erreichen seien. „Ich sehe keinen Grund, warum ein hoch verschuldetes Land sich ein solches Risiko aufhalsen sollte“, sagt der Chef des Berliner Bundes der Steuerzahler, Alexander Kraus.

Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmerverbände Berlin-Brandenburg, verweist auf das Auslaufen des Solidarpakts für Ostdeutschland und die Schuldenbremse, die ab 2020 gilt. „In dem damit noch flacher werdenden finanziellen Fahrwasser sollte das Land Berlin keine zusätzlichen Verpflichtungen in Milliardenhöhe und Risiken mit ungewissem Ausgang in Kauf nehmen.“ Amsinck erinnerte an ein Gutachten des renommierten Juraprofessors Helge Sodan. Der ehemalige Präsident des Landesverfassungsgerichtshofs sieht in der Möglichkeit, mit Haftung des Landes günstigere Kredite als die Konkurrenz zu erhalten, eine nach EU-Recht unerlaubte Beihilfe.