– Zwei Frühgeborenen-Stationen der Charité am Standort Virchow sind mit Serratia-Keimen befallen, Neuaufnahmen in der Universitätsklinik sind nicht mehr möglich. Nicole Dolif und Joachim Fahrun sprachen darüber mit dem ärztlichen Direktor der Charité, Professor Ulrich Frei.
Berliner Morgenpost:
Herr Professor Frei, am Donnerstag haben Sie wegen des Keimbefalls die Neonatologie der Charité für Neuaufnahmen gesperrt. Einen Tag später hat die Berliner Morgenpost davon erfahren. Wann wollten Sie über den Keimbefall informieren?
Ulrich Frei:
Ich wollte das am Wochenende machen, das ist zeitgleich mit den Initiativen des Gesundheitssenators Czaja passiert. Eigentlich hätte ich es schon am Freitag tun wollen, aber an diesem Tag musste ich zur Graduierung meines Sohnes nach Göttingen.
Das Amtshilfeersuchen an das Robert-Koch-Institut wurde auch von der Senatsverwaltung gestellt, weil die wohl den Eindruck hatten, es sei bis dahin nicht genug passiert.
Wir als Klinikum selbst können nicht offiziell ans Robert-Koch-Institut (RKI) herantreten. Das kann nur die Senatsverwaltung als Vertreter des Landes Berlin. Wir haben natürlich schon vorab informell mit dem RKI gesprochen.
Warum wurde die Öffentlichkeit nicht schon vorher informiert? Die Gesundheitsversorgung war doch schon beeinträchtigt, als Sie am 11. Oktober den Kreißsaal für Feuerwehrtransporte gesperrt haben.
Es mag sein, dass ich kein Medienprofi bin. Ich habe mich um die Lösung des Problems gekümmert. Es sei eingeräumt, dass ich das Interesse der Öffentlichkeit an diesen Fällen als nicht ausreichend dringlich eingeschätzt habe.
Es hat also auch nicht zu lange gedauert, ehe Sie – auf Anweisung des Gesundheitsamtes – die infizierten von den nicht infizierten Kindern getrennt haben?
Es gab erkrankte Kinder im Zeitraum 3., 4., 5. Oktober. Von denen sind Blutkulturen genommen worden. Davon sind Serratia-Keime ab dem 8. Oktober abgelesen worden. Wir haben direkt per Mail das Gesundheitsamt informiert. Das Amt hat reagiert und wollte unsere Ergebnisse sehen. Wir haben sofort das Screening, also das Abstreichen aller anderen Patienten durchgeführt. Am 12. Oktober war der Amtsarzt zu einer Ausbruchskonferenz auf der Station. Er hat zu diesem Zeitpunkt keine weitere Weisung an uns erlassen. Er hat nur gebeten, ihm Listen über Auslastung und Personalausstattung zu überlassen. In der Woche darauf ist die Sache eskaliert, wir haben deswegen die Sperrung vorgenommen. Bedauerlicherweise habe ich die Liste erst gestern, am Montag, übergeben. Im Amt war sie aber auf Wiedervorlage für Freitag. Deshalb haben Amtsarzt und Landesamt für Gesundheit und Soziales die Ressortspitze informiert, nach dem Motto, die Charité macht nicht richtig mit. Wir haben uns aber zu der Zeit um die Patienten gekümmert.
Es ist also nicht alles so gelaufen, wie es laufen sollte?
Die Kommunikation war nicht optimal.
Sie haben gesagt, sie kommen in der Personalausstattung mit Überstunden und freiwilligen Diensten auf einen Wert von 2,85 bis 2,91 Mitarbeiter pro Patient, nötig wären drei. Eigentlich haben Sie also zu wenige Leute in der Neonatologie?
Ja, das ist auch Erkenntnisstand bei uns. Im vergangenen Jahr hatten wir eine ungewöhnlich niedrige Belegung in der Neonatologie, so dass wir eine Zehn-Betten-Einheit sogar außer Betrieb genommen haben. Wir haben im letzten Jahr unser Personal an die Unterbelegung angepasst. Seit Dezember dreht sich der Wind völlig, wir haben eine Überbelegung, ich weiß nicht woher das kommt. Aus Personalgründen haben Kinderkliniken an der Peripherie, etwa in Schwedt, geschlossen. Diese Kinder kommen jetzt hier her. Und auf dem Markt sind hoch spezialisierte Neonatologie-Schwestern nicht einfach so abzurufen. Entgegen aller Sparpolitik beim Personal war die Neonatologie immer offen. Jede qualifizierte Kraft, die wir finden konnten, haben wir sofort eingestellt. Von März bis jetzt haben wir 14 Leute eingestellt. Aber die Mitarbeiterinnen bekommen Kinder oder gehen in Elternzeit, so dass der Netto-Aufwuchs nur bei fünf Personen lag, obwohl wir doppelt so viele haben wollten. Wir suchen weiter.
Ihre Hygiene-Chefin hat gesagt, pro Patient müsse sich das Personal 70 Mal täglich die Hände desinfizieren. Das geschehe aber nach Beobachtungen nur in 92 Prozent aller Fälle.
Das ist nicht perfekt. Aber eine neonatologische Station ist auch kein Operationssaal. Es kann aber Situationen geben, in denen einem Kind auf der Stelle geholfen werden muss, wenn es ihm schlecht geht. Dann wird eben beim Wechsel von einem zum anderen Kind nicht die an sich vorgeschriebene 20-sekündige Einwirkung eines Desinfektionsmittels eingehalten.
Wie oft traten Serratia-Keime in der letzten Zeit auf?
Wir haben mit Serratien als Ausbruch zum ersten Mal zu tun, seit ich dieses Amt innehabe. Ausbrüche sind sehr selten. In der Literatur sind nur 30 bis 40 solcher Ausbrüche beschrieben. Diese Berichte kommen aus vielen Ländern, nicht nur aus Deutschland. Serratia-Ausbrüche sind überall eine ziemlich schlimme Sache.
Wie lange wird es dauern, bis Sie die beiden Stationen leeren können, um sie dann komplett zu desinfizieren?
Mehrere Wochen. In der Neonatologie ist die Faustregel, dass die Kinder so lange bleiben, wie sie im Mutterleib geblieben wären. Wir haben Kinder, die aus der 25. Schwangerschaftswoche stammen, sie müssen also noch 15 Wochen bei uns bleiben, wenn es Komplikationen gibt auch länger. Aus anderen Intensivstationen sind Keimträger auch schnell wieder draußen. In der Neonatologie können sich die Kinder immer auch untereinander wieder anstecken.
Aber das passiert nur dann, wenn die Hände des Personals oder irgendwelche Gegenstände nicht wirklich sauber sind.
Ja, selbstverständlich, wenn irgendetwas nicht bis zum letzten Punkt perfekt ist. Diese Perfektion versuchen wir zu erreichen. Aber das ist selbst auf der so gut trainierten Station nicht gelungen. Wenn wir nicht irgendeinen gegenständlichen Übertragungsweg finden, muss man es als Übertragung durch Hände oder Personal einschätzen. Dieser hochkontagiöse Keim verzeiht nicht den geringsten Fehler. Das bei anderen Keimen nicht so.
Können Sie ausschließen, dass diese Stationen nicht so gereinigt wurden, wie das sein müsste?
Diese Frage wird aus politischen Gründen immer wieder hochgezogen. Aber Reinigungskräfte fassen keine Kinder an. Sie betreten diese Stationen nur mit Handschuhen und Überkleidern. Aber das Team vom Robert-Koch-Institut wird jeden Stein umdrehen und auch das überprüfen.
Würden Sie also sagen, dass die ganze Debatte um Kostendruck aufs Pflegepersonal oder die ausgelagerten Reinigungsleistungen nichts mit dem aktuellen Fall zu tun hat?
Ich würde gerne die Debatte um Kostendruck aufmachen. Ich habe das nicht erwähnt, weil ich nicht den Eindruck erwecken möchte, wir würden uns hinter irgendetwas verstecken. Aber natürlich ist es skandalös, wie Krankenhäuser um Personal kämpfen müssen, während die Krankenkassen auf Milliarden sitzen. Aber die Neonatologie ist für ein Krankenhaus der sensibelste Bereich. Schadensfälle dort sind eine langfristige Katastrophe für ein Haus. Die Neonatologie ist immer im Fokus, wir haben uns bemüht, dort keinerlei Einschränkungen zu machen. Wir haben uns in der Vorbeugung, glaube ich, nichts vorzuwerfen. Aber es gibt offensichtlich immer noch etwas zu verbessern.
Wie schlimm ist das Thema für das Image der Charité als Spitzeneinrichtung der deutschen Medizin?
Die Szene wird sagen, ‚Schau her, auch die Charité kann Probleme haben‘. Für uns ist das ein ganz bedrückendes Ereignis. Jetzt müssen wir sehen, dass die Kinder gesund nach Hause kommen. Viele Kollegen wundern sich aber auch über das Medieninteresse.
Es gab schließlich einen Todesfall, ein Kind ist nach einer geglückten Herz-OP an Keimen gestorben.
Ja, aber wir haben hier Kinder, die 400 Gramm wiegen oder komplexe Herzfehler haben, das ist schon extreme Medizin. Die Erwartungshaltung an die Allheilkräfte, die wir haben sollen, ist sehr hoch.