Özlem Kaya-Nowotnick hat Angst. Angst um ihre winzige Tochter. „Die Nachricht von den Keimen in der Charité ist schrecklich“, sagt die 33 Jahre alte Frau. Ihre Tochter Nela Celie ist ein Frühchen. Sie kam am 11.Oktober im St.-Joseph-Krankenhaus in Tempelhof zur Welt, fünf Wochen vor dem errechneten Geburtstermin – geschwächt durch eine Infektion, die sie sich bereits im Mutterleib zugezogen hatte. Mutter und Kind liegen seitdem auf der Frühgeborenenstation des Krankenhauses. Zum Glück schlägt die Antibiotika-Therapie an. Einige Tage müssen sie aber noch im Krankenhaus bleiben.
In Berlin machen sich momentan viele Eltern, Ärzte und Klinikleiter Sorgen. Seit am Freitag bekannt geworden ist, dass ein Säugling an Serratia-Keimen gestorben ist, nachdem er am Herzen operiert worden war, herrscht große Aufregung. Die Darmkeime waren auf zwei der fünf Neugeborenen-Intensivstationen der Charité ausgebrochen, sieben Babys haben eine Infektion, bei 16 Frühchen wurde der Keim nachgewiesen, ohne dass sie bisher Krankheitssymptome zeigen. Die Charité schloss daraufhin zwei ihrer fünf Neugeborenen-Intensivstationen. Ein Baby infizierte sich im Herzzentrum.
Noch am Wochenende kämpften die Ärzte um das Leben eines mit Serratia-Keimen infizierten Babys. „Mittlerweile ist es außer Lebensgefahr“, sagt am Montagmittag Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU). Der Zustand aller sieben Kinder sei nach Angaben der Charité stabil, sie werden mit Antibiotika behandelt.
Herkunft der Keime ist unklar
Woher die Keime auf der Station kommen, ist bis jetzt immer noch nicht geklärt. Der Hygiene-Experte Klaus-Dieter Zastrow hatte in dieser Zeitung bereits am Wochenende von „Schlamperei“ gesprochen. Diesen Vorwurf nannte Czaja „eine vorschnelle Verurteilung, an der er sich nicht beteiligen wolle“. Auch die Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe, Anja Kistler, teilt Zastrows Meinung nicht. „Das Problem reicht über die Charité hinaus“, sagt sie und fordert eine Änderung der Krankenhausfinanzierung. Die finanziellen Rahmen der Krankenhäuser würden immer enger. Stellenabbau sei die Folge. „Politik und Kassen nehmen offenbar in Kauf, dass notwendige Standards, auch in der Hygiene, aufgrund von Arbeitsverdichtung und Zeitdruck nicht immer erfüllt werden können.“ Anja Kistler ruft die Krankenschwestern auf, Überlastungsanzeigen zu schreiben.
Für Gesundheitssenator Mario Czaja kommen aber auch andere Möglichkeiten der Ansteckung in Betracht, so zum Beispiel das „Känguruhen“. „Es ist eine positive Entscheidung für das Wohl des Kindes, die Frühchen auf die Brust oder auf den Bauch der Mutter zu legen“, sagte Czaja. Dennoch steige damit auch ein Infektionsrisiko. Beatrix Schmidt, Chefärztin im St.-Joseph-Krankenhaus Tempelhof, ist da allerdings anderer Meinung. Gerade für Frühgeborene sei Körperkontakt sehr wichtig. Ohne das regelmäßige Kuscheln mit der Mutter könne es zu Bindungsstörungen kommen, die optimale Entwicklung des Kinder könnte somit gefährdet sein, sagt sie. Beatrix Schmidt weist darauf hin, dass es immer wieder zu Infektionen der Babys, auch durch krankenhauseigene Keime kommen könne. „Das kommt in allen Krankenhäusern vor“, sagt sie. „Wo Menschen sind, sind eben auch Keime.“ Eine Verbreitung eines Keims wie jetzt in der Charité habe es an ihrem Krankenhaus aber bislang nicht gegeben. „Zum Glück“, sagt die Chefärztin. Vieles werde dafür getan, damit das auch so bleibt.
Im St.-Joseph-Krankenhaus stehen überall Desinfektionslösungsspender mit Anleitung zur richtigen Reinigung der Hände bis hin zu den Ellbogen. Jeder Mitarbeiter, alle Pfleger, Ärzte und selbst die Verwaltungsangestellten tragen stets ein kleines Fläschchen mit sich herum, um sich immer mal wieder die Hände zu reinigen. „Das gehört hier einfach zur Routine“, sagt Chefärztin Schmidt.
Topfpflanzen sind tabu
Auch wenn eine Geburt immer ein Grund zum Feiern sei: Blumen in Blumentöpfen seien auf der Frühchenstation des St.-Joseph-Krankenhauses tabu. Die Erde könnte gefährliche Keime enthalten.
Beatrix Schmidt zählt noch andere Regeln auf, an die sich in ihrem Krankenhaus alle halten müssen. So wird der Fußboden der Intensivstation jeden Tag von speziell geschulten Reinigungskräften desinfiziert. Die Brutkästen werden täglich mit destilliertem Wasser gereinigt – eine Schwester braucht dazu etwa fünfzehn Minuten. Die Baumwolldecken, mit denen die Frühchen warm gehalten werden, ebenso wie die Laken, auf denen sie liegen, kommen einmal in der Woche in die Wäscherei. Die winzigen Kopfteile werden sogar jeden Tag gewechselt. Außerdem gibt es für jedes Baby ein eigenes Stethoskop. Wer einen Brutkasten öffnet, darf dafür nicht die Hände benutzen, sondern muss die Öffnung mit den Ellbogen hochstemmen, um so wenig wie möglich zu berühren.
Und auch die Reinigungskräfte werden aktiv mit eingebunden. Sie erkundigen sich jeden Tag, wo im St.-Joseph-Krankenhaus vielleicht Infektionen sein könnten – dieses Zimmer machen sie dann als Letztes sauber, damit sie die Keime nicht zu den anderen Frühchen bringen. Außerdem gibt es besonders viele Einzelzimmer, und zwar nicht nur, weil Kinder und Mütter darin ungestört sind – sondern auch, weil das Übertragungsrisiko von Krankheiten so minimiert wird.
Beatrix Schmidt ist sich sicher, dass auch die Stillpolitik des Krankenhauses sich positiv auf die Gesundheit der Frühchen auswirkt: „Wir haben eine besonders hohe Rate an Müttern, die ihre Kinder mit Muttermilch stillen.“ Studien beweisen, dass genau das das Immunsystem der Kleinen besonders stark macht“, sagt die Chefärztin.
In der Charité wird in der Zwischenzeit mit Hochdruck nach der Ursache des Serratia-Ausbruchs geforscht. Experten nehmen Abstriche in allen Räumen, untersuchen Türklinken und Waschbecken. Die Seifenspender, die in der Vergangenheit oft verantwortlich für einen Serratia-Ausbruch waren, wurden bereits ausgetauscht. Eine Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern des Gesundheitsamts Mitte und des Robert-Koch-Instituts leuchtet auf den beiden geschlossenen Stationen in jeden Winkel. Erste Ergebnisse, so heißt es aus der Pressestelle des Bezirksamts, sollen am heutigen Dienstag vorgestellt werden.
Ebenfalls ins Visier geraten sind zwei Babypflegeprodukte. Einmal Babydream von Rossmann und Babylove der DM-Drogerien. Diese Produkte aus bestimmten Chargen sind von den Drogerien bereits zurückgerufen worden, „weil bei Analysen geringe Mengen eines Keims der Gattung Serratia nachgewiesen worden sind“, so Rossmann-Sprecher Stephan-Thomas Klose. Manuela Zingl, Sprecherin der Charité, sagte auf Nachfrage, dass „auf unseren Stationen diese Produkte eigentlich nicht verwendet werden“. Details dazu sollen zeitnah bekannt gegeben werden. Denkbar wäre zum Beispiel, dass Eltern diese Produkte für ihre Babys mitgebracht haben und so möglicherweise zum Ausbruch des Keims beigetragen haben.
Eltern werden einbezogen
Im St.-Joseph-Krankenhaus ist man auch wegen solcher Vorkommnisse dazu übergegangen, die Eltern von Anfang an in Sachen Hygiene mit einzubinden. „Hier auf der Station gibt es eine Hygienefachkraft, die auch die Eltern immer wieder an die Sauberkeit erinnert“, sagt Chefärztin Beatrix Schmidt. Und das sei auch dringend notwendig: Denn ein Frühchen bleibe bis zu zwei Monate im Krankenhaus. In dieser Zeit leben auch die Eltern auf der Station und übernehmen oft auch die gesamte alltägliche Versorgung des Kindes. Es komme dann vor, dass Mütter ihr Kind wickeln – danach aber das Händewaschen vergessen, weil das Kind vielleicht weint und sie es schnell zum Stillen an die Brust legen. Hier helfe nur, immer wieder zu erinnern und zu ermahnen. „Letztendlich liegt die Verantwortung aber bei den Eltern, wir können nur beraten“, sagt die Chefärztin.
Dass die Eltern sich selbst so viel um das Kind kümmern, habe aber auch Vorteile. Tritt eine Infektion auf, werden Übertragungsmöglichkeiten zu anderen kleinen Patienten automatisch reduziert, da es kaum Kontakt zum Pflegepersonal gibt, das als Überträger gefährlich ist.
In der Charité sind die Hygienevorschriften für Eltern auf der Neugeborenenstation schon immer sehr streng. „Ein Mundschutz gehört eigentlich dazu, die Frühchen sind sehr empfindlich“, sagte Charité-Sprecherin Stefanie Winde. Dennoch konnten die Serratia-Keime in der Uniklinik ausbrechen – und sie verbreiten sich weiter. So musste das Klinikum am Montag noch einen weiteren Fall melden, dazu das Baby aus dem Herzzentrum. Mittlerweile ist damit bei 24 Frühchen der Darmkeim nachgewiesen worden. In akuter Lebensgefahr schwebt – zum jetzigen Zeitpunkt – aber keines der Babys.