Silikon-Skandal

Der Feind in meiner Brust

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Gesche Wüpper

Er zeigt keine Reue. In seiner Vernehmung gibt sich Jean-Claude Mas, der Gründer des französischen Brustimplantate-Herstellers PIP (Poly Implant Prothèse), geradezu trotzig. Und behauptet, seine Implantate würden "keinerlei Risiko für die Gesundheit" darstellen.

Der 72-Jährige, der seine Karriere als Pharmavertreter des Arzneimittelkonzerns Bristol Myers-Squibb begann und später als Handelsvertreter für Würste, Wein und Cognac arbeitete, ist ohne Einsicht. Und teilt, selbst in seiner Lage, noch aus: Bei den 2400 betroffenen Frauen, die bei der Staatsanwaltschaft Marseille Klage einreichten, handele es sich um "fragile Personen oder solche, denen es nur ums Geld geht".

Unglaubliche Aussagen eines Mannes, dessen Firma für einen weltweiten Skandal sorgt. Einen tödlichen Skandal. Nach Frankreich und Tschechien riet nun auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den betroffenen Frauen, sich die als krebserregend vermuteten Silikonkissen herausoperieren zu lassen. Denn auch ohne Risse könnte das eigentlich für Industriezwecke bestimmte Gel ausgeschwitzt werden.

Das Ausmaß des Ausschwitzens sei größer als bei anderen Implantaten und nehme mit dem Alter der Silikonkissen zu, erklärte ein Sprecher.

Die Gesundheitsbehörden zahlreicher Länder wie Brasilien, Finnland und Italien dagegen raten den betroffenen Frauen bisher lediglich, sich gezielt untersuchen zu lassen. Australien empfahl den Trägerinnen, sich an eine Hotline zu wenden.

Die Zahl der betroffenen Frauen wird weltweit auf 400 000 bis 500 000 geschätzt, in Deutschland auf 7500. Denn die 1991 in der Nähe von Toulon in Südfrankreich gegründete, inzwischen liquidierte Firma PIP, die zeitweise der drittgrößte Hersteller von Brustimplantaten weltweit war, exportierte rund 80 Prozent ihrer Produktion ins Ausland - vor allem nach Großbritannien, Brasilien und Argentinien. Die französischen Gesundheitsbehörden verboten die Vermarktung ihrer Implantate im April 2010 europaweit, da das Unternehmen nicht das dafür vorgesehene medizinische Silikongel, sondern ein eigenes, sehr viel billigeres Gel verwendete. Dadurch sollen die Implantate leichter reißen und Krebs auslösen können. In Frankreich erkrankten bereits 20 der circa 30 000 Trägerinnen von PIP-Implantaten an Krebs, mindestens zwei verstarben. Die französische Regierung startete deshalb kurz vor Weihnachten eine beispiellose Rückrufaktion und forderte die betroffenen Frauen auf, sich die Silikonkissen auf Kosten der staatlichen Krankenversicherung entfernen zu lassen.

Einige Patienten tragen Kosten mit

Auch in Deutschland sieht das Gesundheitsministerium bei der Übernahme der Kosten die Krankenkassen in der Pflicht. Das BfArM habe festgestellt, dass eine Gefahr für die Gesundheit vorliege, erklärte eine Ministeriumssprecherin: "Und wenn eine Gesundheitsgefahr besteht, hat ein Patient Anspruch gegenüber der Kasse, dass die Kosten übernommen werden." Allerdings könnten die Krankenkassen prüfen, ob und wie die Patientinnen beteiligt würden. Das hänge vom jeweiligen Einzelfall ab.

Sehr viel unklarer ist die Lage in Großbritannien. Dort sollen mehr als 52 000 Frauen Brustimplantate von PIP tragen. Zwar erklärte das Gesundheitsministerium jetzt, es sehe keine Veranlassung, die Silikonkissen bei allen Betroffenen herausoperieren zu lassen. Gesundheitsminister Andrew Lansley sagte jedoch zu, dass sich Patientinnen, denen die Implantate in staatlichen Krankenhäusern eingesetzt wurden, diese auf Kosten der staatlichen Krankenversicherung wieder herausnehmen lassen könnten.

Der Skandal dürfte sich in Großbritannien und Frankreich noch ausweiten. Denn offenbar ignorierten die Behörden jahrelang Warnungen. So soll der schottische Schönheitschirurg Awf Quaba die britische Aufsichtsbehörde bereits 2006 darauf hingewiesen haben, dass es bei den PIP-Implantaten verstärkt zu Rissen und Ausschwitzungen komme. In Frankreich sollen Chirurgen die Behörden 2007 erstmals alarmiert haben. Zudem verklagten 2003 mehrere Frauen in den USA PIP, nachdem die amerikanische Arzneimittelaufsichtsbehörde FDA (Food and Drug Administration) 2000 warnte, Produkte von PIP seien gepanscht. Doch die Behörden in Frankreich reagierten nicht.

In Frankreich wurden inzwischen Hunderte von Klagen gegen PIP, die Kontrollbehörde für Medizinprodukte Afssaps, verschiedene Schönheitschirurgen, die ihre Patientinnen ungenügend aufklärten, sowie gegen den TÜV Rheinland eingereicht. Denn der TÜV war jahrelang für die Zertifizierung der PIP-Implantate zuständig. Er muss sich nun ab dem 2. Februar vor dem Handelsgericht Toulon verantworten. Dort haben drei Unternehmen, die die PIP-Implantate in Bulgarien, Italien und Brasilien vertrieben, Klage gegen ihn eingereicht. Das Kölner Unternehmen jedoch hält die Klage nach Angaben eines Sprechers für "unzulässig und substanzlos".

Denn PIP-Gründer Jean-Claude Mas hat bei Verhören zugegeben, den TÜV bewusst getäuscht zu haben. Der TÜV habe seine jährlichen Besuche immer zehn Tage vorher angekündigt, erklärte er. Er habe dann stets alle verdächtigen Dokumente und die nicht zugelassenen Inhaltsstoffe verstecken lassen. Seit 2001 habe er nicht das von den Gesundheitsbehörden zugelassene Silikongel Nusil, sondern eine eigene Mischung zur Füllung der Implantate benutzt. Die verwendeten Zutaten, die eigentlich für eine industrielle Nutzung vorgesehen waren, bezog PIP auch von dem Chemiekalienhändler Brenntag aus Deutschland. Nach Angaben eines Firmensprechers lieferte Brenntag ein Silikonöl namens Baysilone, das normalerweise unter anderem als Dichtungsmasse in der Baubranche eingesetzt wird.

Laut Mas waren 75 Prozent der Brustimplantate mit dem minderwertigen Gel gefüllt. Nach Erkenntnissen der Afssaps könnten möglicherweise sogar alle PIP-Implantate mit dem Billiggel gefüllt sein. Bei Kontrollen sei kein Silikonkissen gefunden worden, das in Ordnung gewesen sei, sagte Afssaps-Leiter Dominique Marininchi. Von 1638 entfernten Prothesen seien 1143 gerissen gewesen, 495 hätten zu Entzündungen geführt. In Deutschland wurden bisher 19 Fälle von gerissenen PIP-Brustimplantaten bekannt.

"Ich wusste sehr wohl, dass es nicht zugelassen war, aber ich habe es bewusst getan, da das PIP-Gel billiger war", gab Mas zu Protokoll.

Pfusch-Gel war zehnmal günstiger

Dem aus dem südwestfranzösischen Tarbes stammenden Mas, der bei PIP nach Angaben früherer Mitarbeiter wie ein Diktator geherrscht habe, soll es einzig und allein ums Geld gegangen sein. So gab der frühere technische Direktor der Firma, Thierry Brinon, bei einem Verhör an, "die einzige Motivation" der Betrügereien des PIP-Chefs sei gewesen, "die Rentabilität des Unternehmens zu erhöhen". Nach Angaben Brinons war das von PIP verwendete, selbst gemachte Gel zehnmal günstiger als das für die Verwendung in Brustimplantaten zugelassene Silikongel Nusil. Bei einer Jahresproduktion von 100 000 Implantaten soll die Firma so jährlich eine Millionen Euro eingespart haben.

Den betroffenen Frauen dürfte das heute jedoch wenig helfen. Da PIP inzwischen aufgelöst wurde, hätten die französischen Klägerinnen keine Chance, von dem Unternehmen entschädigt zu werden, glaubt Rechtsanwalt Laurent Gaudon, der die Opfer vertritt. Und Allianz, die Versicherung der Firma, klagt inzwischen selber wegen bewusster falscher Angaben gegen den Insolvenzverwalter von PIP und fordert die Annullierung der Verträge.

"Ich wusste sehr wohl, dass es nicht zugelassen war, aber ich habe es bewusst getan, da das PIP-Gel billiger war"