Der südspanische Klettersteig wird in der Osterwoche wiedereröffnet

Er hat ihn überlebt, den Caminito del Rey. Der Hamburger Daniel Ahnen verunglückte nicht, als er auf dem „gefährlichsten Pfad der Welt“ in der südspanischen Provinz Málaga wanderte – er starb drei Jahre später bei einer Expedition im Himalaya. Vergessen ist er nicht. Das Video, das er während seiner Tour auf dem Caminito del Rey gedreht und 2008 auf Youtube hochgeladen hat, zieht bis heute in seinen Bann. Mehr als elf Millionen Mal sind Betrachter in den Schatten Daniel Ahnens geschlüpft, um in schwindelerregender Höhe wie Seiltänzer über rostige Eisenstangen zu balancieren – auf einem Weg, der stellenweise kein Weg mehr ist.

Eine Frage der Selbstüberwindung

Dabei dürfte es dieses Video gar nicht geben. Denn die Provinzregierung verbot das Betreten des Pfades, nachdem 1999 und 2000 vier Menschen abgestürzt waren. Hohe Geldstrafen, die bei Missachtung drohten, hielten aber auch in der Folge Abenteuerlustige nicht davon ab, ihr Leben auf der Suche nach einem Adrenalinkick zu riskieren. Warum? „Der Canyon ist atemberaubend. Der Caminito in weiten Teilen regelrecht in die Steilwand ,genagelt‘ – und das in über 100 Metern Höhe. Von der anderen Canyonseite aus sieht man, wie er sich fast freischwebend den Fels entlangwindet und fragt sich, welch verrückte Baumeister auf so eine aberwitzige Idee kommen konnten. Natürlich mussten wir da entlang“, sagt Redakteur Stefan Eisenberg, der den Caminito del Rey 2005 ablief.

Er gibt zu, dass das Verbot seine Berechtigung hatte, denn „an vielen Stellen klafften Löcher im Boden, an anderen fehlten die Betonplatten ganz und gaben den Blick auf den reißenden Fluss in der Tiefe frei. Doch lokale Kletterer hatten an den gefährlichsten Stellen Stahlseile angebracht, in die man sich mit Klettergurt und Karabinern einhängen konnte. Mit dem richtigen Equipment konnte eigentlich wenig passieren. Es war vor allem eine Frage der Selbstüberwindung. Ein schottischer Kammweg bei schlechtem Wetter ist wesentlich gefährlicher“, sagt Eisenberg. Aufgeben auf halber Strecke kam nicht infrage: „Ich habe mich zwischen den Panikattacken eher gefragt, ob ich überhaupt umkehren könnte.“

Illegal muss sich nun niemand mehr Zutritt zu dem legendären Pfad im Naturschutzgebiet Desfiladero de los Gaitanes verschaffen. Denn nach 14 Jahren Schließung steht der Caminito del Rey Wanderern ab sofort wieder offen. 2,3 Millionen Euro wurden in den Ausbau des 7,7 Kilometer langen Weges – 2,9 Kilometer davon sind Klettersteige – investiert. Besucher genießen nun, mit Helmen ausgestattet, ganz ohne Gefahr die spektakuläre Schönheit der bis zu 400 Meter tiefen und stellenweise nur zehn Meter breiten Schlucht El Chorro, durch die der Fluss Guadalhorce rauscht. Der neue Weg – auch er nur ein Meter breit, nun aber mit Holzboden und Geländer ausgestattet – schlängelt sich direkt über dem alten Pfad an der Steilwand entlang, sodass die Strecke gleich geblieben ist.

1901 bis 1905 erbaut, besteht der Caminito del Rey aus Betonplatten, die mit Eisenstangen in der Felswand verankert sind. Das kühne Projekt hatte einen ganz praktischen Grund: Der Steg diente Arbeitern beim Bau eines Wasserkraftwerks als Transportweg und verband die schwer zugänglichen Dörfer der Region. Wie die Arbeiter den Weg ohne technische Mittel errichteten, versetzt immer noch in Staunen. Es heißt, beim Bau seien auch zum Tode Verurteilte eingesetzt worden, belegt ist das aber nicht. Seinen heutigen Namen Caminito del Rey (Königspfad) bekam der Weg, nachdem ihn Alfonso XIII. 1921 anlässlich der Eröffnung des Staudamms Conde del Guadalhorce abgeschritten war.

Dass man den Caminito del Rey nicht einfach in dem Zustand gelassen hat, in dem er war, bedauern einige. Manche aus Abenteuerlust, andere, weil sie einen Massenrummel fürchten. Als die Website, auf der sich Besucher anmelden müssen, am 24. Februar in Betrieb ging, wurden laut desnivel.com, einem Portal für Kletterer, innerhalb von sechs Stunden 10.500 Reservierungen verzeichnet. Da nicht mehr als 600 Personen am Tag den Weg besuchen können, muss mit längeren Wartezeiten gerechnet werden.

Dabei handelt es sich immer noch nicht um einen lockeren Spaziergang. Selbst mit Geländer ist die Aussicht schwindelerregend – nicht nur wegen der Glasböden, die gelegentlich den Blick in die Tiefe lenken. Besonderen Nervenkitzel bereitet eine 15 Meter lange Hängebrücke, die in mehr als 100 Metern über dem Abgrund schwebt.

Prognose: 190.000 Gäste im Jahr

Das riesige Interesse an der neuen Attraktion stimmt die Provinzregierung Málagas sehr zuversichtlich. 181 Arbeitsplätze würden so geschaffen, heißt es. Von den 250.000 Menschen, die das Naturschutzgebiet Desfiladero de los Gaitanes jährlich besuchen, werden den Prognosen einer Studie zufolge 190.000 zum Caminito strömen. Mit fast 20 Millionen Euro Einnahmen, die dadurch direkt oder indirekt entstehen, rechnet man im Jahr. Die Kosten für die Erneuerung des Caminito del Rey sollen sich so in anderthalb Monaten bereits amortisiert haben.

Reizt der neue Caminito del Rey noch jemanden, der den alten Weg kennt? Stefan Eisenberg sagt: „Wir saßen damals auf halbem Weg rittlings auf dem von der Sonne heißen Wasserrohr der Brücke über den Canyon, kratzten unsere Initialen in den Lack und fühlten uns wie Könige, weil wir diese Grenzerfahrung gemeistert hatten. Mit dem Ausbau des Weges ist das so nicht mehr möglich. Aber das ändert nichts an der Schönheit des Canyons. Und nun können sie Leute genießen, die das sonst nie gesehen hätten. Vielleicht gehe ich den Caminito ja irgendwann noch mal, ganz ohne Panikattacken. Auf der neuen Brücke schiele ich dann durch den mannshohen Sicherungszaun hinüber zum Wasserrohr. Vielleicht stehen da ja auch noch unsere Initialen.“