In Europas Umwelthauptstadt 2014 haben nicht nur Radler grüne Welle

Auf der Tür des „BioM“ prangt groß ein rotes Ø. Es ist ein staatliches Gütesiegel, das auch Brian Johansen selbst tragen könnte. Denn der Chef des ersten Kopenhagener Bio-Restaurants ist von Kopf bis Fuß öko. Das heißt, er trägt nur Kleidung, die im Einklang mit der Umwelt hergestellt sowie nach den Fairtrade-Grundsätzen gehandelt wurde. Das Gleiche gilt für Heinz Lodahl, den Geschäftspartner von Johansen. „Öko ist mittlerweile hip und modern“, sagt Brian und zeigt auf einen Holztisch: „Selbst unsere Stühle sind 100 Prozent nachhaltig und aus wiederverwerteten Plastikflaschen geformt.“ Als Johansen und Lodahl 2007 ihr Restaurant eröffneten, empfanden sie sich noch als Pioniere eines neuen Lebensstils. Inzwischen macht es Kopenhagen seinen Bewohnern immer leichter, nachhaltig zu leben. So stammen schon 75 Prozent der in kommunalen Küchen servierten Lebensmittel aus biologischer Produktion.

Und 35 Prozent der Kopenhagener fahren mit dem Rad zur Arbeit. Damit die Radler-Quote bis 2015 auf 50 Prozent steigt, baut die dänische Hauptstadt derzeit 26 Cykelsuperstier. Das sind blau gefärbte Radschnellwege, die einen besonderen Belag haben und mit Fahrradampeln, Tempotafeln und Reparaturstationen ausgestattet sind. „Pendler und andere Radfahrer können so auf einer grünen Welle in die Hauptstadt schwimmen“, sagt Umwelt-Bürgermeisterin Ayfer Baykal.

2014 ist Kopenhagen „Europäische Umwelthauptstadt“, ein guter Anlass also, um dem selbst gesetzten Ziel, fahrradfreundlichste Metropole der Welt zu werden, noch ein Stück näher zu kommen. Seit Längerem bereits gilt eine kostenlose Fahrradmitnahme in der S-Bahn, in der Metro und in den Hafenbussen. Nun wird dieses Zugeständnis auf „intelligente Stadträder“ ausgeweitet, die Kopenhagen in diesem Jahr nach und nach zur öffentlichen Nutzung einführt. Dabei handelt es sich um 1260 leichte Alu-Bikes mit „unplattbaren“ Schaumgummireifen. Ein Elektromotor sorgt für Schwung und ein Tablet-PC am Lenker für Orientierung.

Eher grundsolide sind hingegen die Räder für die Gäste des „Ibsens Hotel“ der Brøchner-Familie. Mit ihren vier Häusern betreibt sie die weltweit erste CO2-neutrale Hotelkette und wurde dafür 2011 vom Nordischen Rat mit dem Natur- und Umweltpreis ausgezeichnet. Zum Hotelkonzept gehört neben Energiesparen, Biokost und Fairtrade auch das Bekenntnis zum Lokalen. Und so stammt die bunt gemixte Inneneinrichtung des Boutique-Hotels aus Spenden und von Designern, die im umliegenden Viertel Nørreport ansässig sind.

Überhaupt ist dieses Viertel längst dabei, den angesagten Quartieren in Nørrebro, Vesterbrø und Østerbrø Konkurrenz zu machen, zumal Nørreport zentraler ist und mit dem Tunnelbahnhof den meistfrequentierten Bahnhof Dänemarks hat – einschließlich 900 Stellplätzen für Fahrräder. Kaum weniger Betrieb herrscht am Israels Plads. Hier eröffnete vor zwei Jahren Kopenhagens neue Speisekammer: die Torvehaller, ein moderner Markt in zwei Hallen aus Glas und Stahl. Das Konzept der Architekten Iselin C. Hermann und Hans Peter Hagens ist einfach: Draußen wechselt das Angebot im Jahreslauf, drinnen gibt es an 60 Ständen Dänen-Kost von kleinen Produzenten. Selbst dänischer Dessertwein von Ørnberg aus Nordseeland ist hier zu finden; die 0,375 Liter-Flasche kostet stolze 225 Dänische Kronen, rund 30 Euro.

Am Hafenkanal wird weiter kräftig gebuddelt. Alte Kai-Kanten wandeln sich zu attraktiven Bummelmeilen, neue Brücken schließen die Innenstadt an die einstigen Arbeiter-, Hafen- und Militärarealean. Allein im vergangenen Jahr wurden fünf neue Verbindungswege für Fußgänger und Radfahrer eingeweiht, darunter die avantgardistische „Cirkelbroen“ von Olafur Eliasson sowie eine Dreifachbrücke des Österreichers Dietmar Feichtinger. „Schmetterlingsbrücke“ haben sie die Hauptstädter getauft, denn wie Flügel eines Falters öffnet sie sich für den Schiffsverkehr auf dem Trangraven und auf dem Christianshavns-Kanal, dessen Wasser beste Badequalität hat. Die Stadt verfügt denn auch seit zehn Jahren über drei Hafenbäder. Auf Islands Brygge kann man sogar im Winter baden, die Anlage wurde entsprechend ausgebaut und um eine Sauna erweitert.

Hafenbad und Kulturhuset

Den Alltag der Bewohner „grüner“ und damit erlebnisreicher zu machen ist die Vision der Kopenhagener Stadtväter. Und gerade Islands Brygge ist ein gutes Beispiel: Vor zehn Jahren noch ein tristes Arbeiterviertel mit Fernhafen und Werften, gilt es heute als Kopenhagens Antwort auf Londons Covent Garden. Für den Imagewandel sorgte neben dem Hafenbad vor allem das Kulturhuset, das fast 400 Veranstaltungen im Jahr ausrichtet – Street Jazz und Funk, Ballett und Tanz, Film und Festivals. Das im Kulturhuset ansässige Café „Bryggens Spisehus“ bietet zudem die günstigste und schmackhafteste Hummersuppe der Stadt sowie – gratis – den schönsten Blick auf die Silhouette der Stadt.

Wer hier lebt, „auf“ Islands Brygge, wie man in Kopenhagen sagt, identifiziert sich mit seinem Viertel – und engagiert sich. Zur Sanierung des Hafenufers griffen die Bewohner selbst zu Schippe und Schaufel. Das besondere Flair des ehemaligen Arbeiterviertels lockt inzwischen auch verstärkt Kreative aus unterschiedlichen Bereichen an. So sind die Modemacherinnen von „Dart“ in den Altbauten ebenso zu Hause wie die 25 Kunsthandwerker vom „Workshop“. Seit 2003 verkaufen sie direkt am Kai ihre selbst entworfenen Krüge und Tassen, Kleidungsstücke, Schmuck, Skulpturen, Ledertaschen und Lampen. Und in der Gunløgsgade 19 eröffnete Kirstine Dueholm Andersen 2009 ihren konsequent auf Nachhaltigkeit getrimmten Friseursalon „Cabello“, wo von der Wandfarbe über die Haarpflegeprodukte bis zum Kaffee und der Schokolade für die Kunden alles irgendwie bio ist.

Selbst der Tivoli, der traditionsreiche Vergnügungspark in der Kopenhagener Innenstadt, präsentiert sich neuerdings umweltbewusst: Um die 8,5 Millionen Kilowattstunden Strom zu erzeugen, die die vielen Fuhrgeschäfte jährlich benötigen, wurde ein eigenes Windrad im Öresund aufgestellt. Ob es die benötigte Energie des Parks komplett erzeugen kann, muss sich aber erst noch erweisen. In einem nächsten Schritt werden nun die 120.000 Leuchten des Tivoli Stück für Stück auf LED umgestellt.

Getragen von der Vision, eine lebensfreundliche Stadtlandschaft des 21. Jahrhunderts zu schaffen, ist auch die neue Satellitenstadt Ørestad. Das Mini-Manhattan von Kopenhagen ist durch eine Hochbahn, die ohne Personal im Führerstand auskommt, an die alten Viertel angeschlossen. „Die vordersten Bänke sind die Plätze mit der besten Aussicht“, sagt Jette Klausen vom Metro-Service, „denn sie bieten freie Sicht auf alle Architektur-Ikonen.“ Und davon gibt es einige in der Satellitenstadt, die seit 1992 auf den Salzmarschen der Amager-Insel in den Himmel wächst.

Da wären etwa der 20 Stockwerke hohe Büroturm der Pharmafirma Ferring von Henning Larsen, Jean Nouvels blau schimmernder Kubus des DR-Konserthuset, die schiefen Türme des „Bella Sky Comwell Hotel Copenhagen“ und die ausgefallenen Wohnblocks „Bjerget“ und „8 Tallet“. Letztere stammen vom dänischen Architekten Bjarke Ingels, der nach dem Vorbild von Le Corbusier eine Unité d’Habitation schaffen will, eine Wohnwelt also, die alle Aspekte des Lebens unter einem Dach vereint.

Tatsächlich wäre es kaum nötig, Ørestad zu verlassen, gäbe es da nicht die schöne Umgebung mit ihren Naturschutzgebieten Pinseskoven, Grøjordsøen und Amager Fælled, das Naturcenter Vestamager mit seinem urigen Lokal „Traktørstedet“ samt Aussichtsturm sowie die Panorama-Metro. Sie bringt Kopenhagener wie Touristen auch zur allerneuesten Attraktion, dem Blauen Planeten. Von oben sieht Nordeuropas größtes Aquarium wie ein Wirbel aus, das den Besucher förmlich in die Unterwasserwelten der Kontinente zieht – zu den Robben und Vogelfelsen der Färöer, zu den Küsten des Pazifiks, den Korallen, Clownfischen und Hammerhaien der Tropen bis hin zu den Piranhas im Amazonas. Auf die ein oder andere Weise ist eben alles in Kopenhagen grün.

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Visit Denmark. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit