Wünschen Sie sich nie, eine Antilope zu sein. Denken Sie erst gar nicht daran, dass etwas dran sein könnte an der Wiedergeburt. Und falls Sie es doch nicht lassen können, dann meiden Sie den Gedanken daran, als Antilope in Namibia wiederzukehren. Es ist das einzige Tier in diesem weiten, riesigen und friedlichen Land, auf das jedermann anlegen kann. Antilopen sind frei jagdbar in Namibia, und man kann es glauben oder nicht - sie wissen es. Das ist so, weil nur sie sich natürlich benehmen - fluchtbereit, witternd, äugend. Auf der Hut.
Der Rest der exotischen, wilden Fauna, von der Giraffe über den Elefanten bis zum Leoparden, benimmt sich, als sei er noch im Paradies. Die Tiere haben ihre Scheu verloren. Sie sind fast so zutraulich wie Carlos, unser zahmes Erdmännchen vom Campingplatz. So ist Namibia ein offener Zoo mit Steppen, Sanddünen und Flusslandschaften, die kein Horizont begrenzt. Ein Jumbojet, der nach Südafrika will, braucht anderthalb Stunden, das Land der Tiere zu überfliegen.
Die Tiere sind überall in Namibia, sogar in der Verfassung. Namibia war das erste Land der Erde, das Natur- und Umweltschutz in der Verfassung verankert hat. Außerdem sind etwa 15 Prozent des Landes Nationalpark. Um Tiere zu sehen, muss man nicht unbedingt in das berühmte Naturreservat im Nordzipfel des Landes fahren. Ost-Caprivi kann man sich sparen. Bewegt man sich im Westen des Landes in einem staubigen, savannenartigen Halbkreis von etwa 200 Kilometern um die Hauptstadt Windhoek herum, dann kommt immer wieder das Gefühl: Der Mensch kann noch so sehr König spielen - hier herrschen die Tiere.
Und es gibt sie überall. Das zeigt ein Blick auf die Karte: Namibia ist - mit Ausnahme seiner Naturparks - ein Land der Zäune. Mehr als 6000 meist ausgedehnte Farmen bilden einen Flickenteppich in dem riesigen Land. Die Wildtiere können die Zäune zwar überwinden, dennoch gewöhnen sie sich an ein freies Leben hinter Maschendrahtzaun. Und die Wildhüter sind dazu da, die Gäste vor den Tieren zu behüten. Am schutz- und wehrlosesten kommt sich nämlich der Mensch in Namibia vor. Ihn schützt nur ein bisschen Autoblech. Oder ein Zelt. Darauf ist hier jeder angewiesen. Nur hin und wieder gibt es Lodges. Wir reisen mit zehn Mann und fünf großen, grünen Safarizelten. Die sollen vor Schlangen, Skorpionen, Löwen und Elefanten schützen. Überhaupt: Ein Elefant müsste man sein in Namibia. In Südafrika sind sie zwar wieder zum Abschuss freigegeben. In Namibia nicht. Der Tourismusminister sorgt sich um sein Safarigeschäft, und so kommt den Wüstenelefanten beinahe jene Unantastbarkeit zu, die heilige Kühe in Indien haben.
Camping am Fluss. Safaritourismus in Namibia richtet sich an ein kleines, zahlungskräftiges Publikum. Alles inklusive. Vom kräftigen Rotwein bis zur Grillplatte. Zum Frühstück gibt es das gut sortierte Kontinentalbüfett mit starker Bohne, geröstetem Weißbrot und Nutella. Unsere Köchin kocht am liebsten französisch. Und wir mögen es auch. Genauso wie die Webervögel, die es sich über unseren Köpfen gemütlich gemacht haben und sich dann und wann ein paar Trauben abholen. Genauso auch wie Carlos, das Camping-Erdmännchen. Carlos liebt Bratwürste und warme Plätze: im Schlafsack oder auf dem Küchenwagen.
Glatt polierte Felsen, scharfkantiges Savannengras, unbeugsame Bäume. Seit Tagen die Furcht vor Schlangen. In Namibia gibt es Ottern, Nattern, Vipern - und zwar viele. Sie halten sich gern in Busch-Toiletten und -Duschen aus Naturstein auf, deshalb gehen wir abends gemeinsam aufs Klo und zum Zähneputzen. Auf dem Weg dorthin machen wir Lärm. Denn in Namibia haben Schlangen Ohren. Wer keine Taschenlampe hat, muss lärmen. Wer lärmt, kommt heilen Fußes durch den Sand. Alte Buschmann-Regel.
Kurz vor der Nacht erhellt das rot glühende Abendlicht, woher der Brandberg seinen Namen hat - von einem Naturschauspiel: Die roten, hohen Felswände brennen. Der Brandberg ist der Berg der Tiere - und der Berg der Bilder. Hier haben die Ureinwohner - hoch über der Namibwüste - einen kulturellen Schatz in den Granit gekratzt. Der Schatz Namibias in Stein gemeißelt: viele Tausend Malereien, Studien von Antilopen, Giraffen, Zebras, Schlangen, Elefanten. Wir sehen sie an. In den Büschen raschelt es. Die Tiere sehen zu.