Von Schloss zu Schloss

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Paul Stänner

"Du immer mit deinem Westfalen", sagt Annegret. "Nein", sage ich, "nicht Westfalen, Wasserburgen!

"Du immer mit deinem Westfalen", sagt Annegret. "Nein", sage ich, "nicht Westfalen, Wasserburgen!" "Wasserburgen?" "Eine Wasserburg ist ein Haus mit Wasser drum herum", erkläre ich und sage gleich dazu: "Zum Beispiel Haus Langen oder Haus Buldern oder Haus Rüschhaus, da hat übrigens Annette von Droste-Hülshoff gewohnt." Annegret ist nicht beeindruckt, also versuche ich es eine Etage höher: "Oder Schloss Lembeck." "Schloss Lembeck", sagt Annegret, vorsichtig interessiert. "Da wohnen wir!"

Die Fahrt geht zunächst per Bahn in das Herz des Münsterlandes, in die westfälische Tiefebene, Heimat von Schwarzbrot, Schinken und geschmacklosem, aber gewalttätigem Schnaps, der hier Korn heißt. Hauptbahnhof Münster. Wir sind auf der Suche nach dem vorbestellten Mietwagen. Äußern den Wunsch am zuständigen Schalter. Der Mann dahinter holt nur wortlos den Kasten hervor, in dem sich die Wagenschlüssel befinden sollten, dreht ihn um und - nichts fällt heraus. "Tja", sagt er. Für ihn scheint das eine erschöpfende Erklärung der Situation zu sein.

Zehn Minuten später ist der Wagen da. Wir fahren durch eine Landschaft mit sanften Hügeln. Schwere Eichen säumen die Straßen, auf den Feldern wird geerntet. Es geht durch kleine Dörfer, alles sehr aufgeräumt. Schloss Lembeck in der Nähe von Dorsten. Unser Zimmer liegt im linken Flügel. Es riecht leicht modrig-muffig wie in alten Kirchen, ein Duft, der aus altem Holz in der Nähe von Wasser und Naturstein entsteht.

"Wir wohnen in Hanns-Hubertus", sagt Annegret. Die Zimmer hier haben keine Nummern, sie haben Geschichten. Diese hier hängt neben der Tür: Hanns-Hubertus Graf von Merveldt (1901-1969). Dieser im westfälischen Coesfeld geborene Maler war mit der Familie des Schlossbesitzers verwandt. Seine Studienreisen führten ihn nach Berlin, Paris, Florenz und Rom. Nachdem die Nazis seine Kunst verboten hatten, mochte Hanns-Hubertus auch die Nazis nicht. Provozierend machte er sich einen Spaß daraus, in Berlin auf dem Kurfürstendamm mit einer Melone aufzutreten. Die Nazis nannten so etwas einen "Judenhelm", der Träger war in ihren Augen Freiwild. Mehrmals endete die Provokation damit, dass Merveldt vom braunen Pöbel blutig zusammengeschlagen zu Boden ging. Aber darüber wird hier nicht geredet. Man redet hier nicht so viel. Lieber treibt man hier Sport. Das Münsterland ist ein prima Fahrradland. Mit etwas Zeit und durchschnittlicher Fitness ist es ein Genuss, durch die Wälder zu fahren oder entlang von Wiesen, in denen um einen Teich drei oder vier Laubbäume mit großen Kronen stehen. Es gibt mehrere Themenrouten, wie die Schlösserroute, die zu gleich 100 Schlössern und Wasserburgen führt - wer lange durchhält, legt auf der Rundfahrt zu den "Häusern" Westfalens 1400 Kilometer zurück. Der Ausdruck "Haus" im Übrigen scheint so etwas wie ein westfälisches Understatement zu sein, denn eigentlich handelt sich dabei um ein mehr oder weniger aufwendig gestaltetes Herrenhaus. Wie Burg Hülshoff, am Ende einer schweißtreibenden Fahrt.

Es gibt mehr als 150 Wasserburgen in Westfalen. Es muss also einmal eine Zeit gegeben haben, in der man sich gern was auf die Rüstungen schlug. Eine Wasserburg war in einem topfebenen Land ein guter Schutz - und Burg Hülshoff bot einen sehr guten Schutz, denn sie liegt mitten in einem großen Teich. Für einen mittelalterlichen Recken in schwerer Rüstung war ein Graben voller Wasser und Schlamm ein großes Hindernis.

Annegret ist militärhistorisch uninteressiert. Auf dem Weg in die Burg liest sie in einer Schulausgabe der Annette von Droste-Hülshoff. "Die Droste" gilt mit ihrer empfindsamen Lyrik als die westfälische Dichterin schlechthin. Ihr berühmtestes Werk ist "Die Judenbuche" über Verbrechen und Schuld in Westfalen. Nach sorgloser Kindheit auf der Burg ereilte Annette von Droste-Hülshoff ein herber Schlag - ihr Bruder heiratete und bekam nach westfälischem Herkommen Haus und Hof. Ihr vorausschauender Vater hatte schon vor seinem Tode wenige Kilometer weiter einen Witwensitz gekauft, der nun für die unverheiratete Annette der Ort wird, an dem sie an der Seite ihrer Mutter auf ihre Ehe warten soll. Dieses Haus Rüschhaus war für Annette ein gesellschaftlicher Abstieg von der weitläufigen Burg auf einen kleinen Hof, aber heute sehen wir ein ganz entzückendes Anwesen mit einem leichten, verspielten Portal und einem demgegenüber erstaunlich strengen Garten. Bei den Führungen durch die Räume der Dichterin wird dem staunenden Besucher auch ein verborgener, gleich deckenhoher Klappaltar gezeigt. Daraus ergeben sich Spekulationen über die münsterländische Form des Katholizismus, wer hat schon einen Altar im Wohnzimmer?

Schloss Lembeck am Abend ist deutlich imposanter als Hülshoff, ein langer Hauptflügel mit Tordurchfahrt, dreigeschossig, graues Schieferdach, darauf Renaissance-Zwiebeltürme, die sich kugelig wölben und dann schlank in den Himmel streben. Auch hier eine Vorburg mit den ehemaligen Wirtschaftsgebäuden und auf einer eigenen Insel das Herrenhaus, heute Hotel, Restaurant und Museum. Drachenköpfige Wasserspeier aus grünspanüberzogenem Kupfer hocken in den Dachrinnen und betrachten übellaunig die Rhododendrenpracht im Garten. Dabei gibt es für derlei üble Laune gar keinen Grund, denn Westfalen mit seinen Wasserburgen ist ein wahrer Augenschmaus.