Genuss am Fluss

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Hans Schloemer

Endlich ist Mitteleuropa aus dem Winterschlaf erwacht, der Lenz regiert nun auch in der Wachau, jenem pittoresken Tal der Donau zwischen Melk und Krems in Niederösterreich, das berühmt ist für seine Weine, sein Weltkulturerbe und seine Marillen.

Endlich ist Mitteleuropa aus dem Winterschlaf erwacht, der Lenz regiert nun auch in der Wachau, jenem pittoresken Tal der Donau zwischen Melk und Krems in Niederösterreich, das berühmt ist für seine Weine, sein Weltkulturerbe und seine Marillen. Für Nicht-Österreicher: Marillen sind Aprikosen. Aber was für welche! Sie sehen nicht nur prall aus, sie schmecken auch süß und saftig, wenn sie reif sind. Die Marillen sind der Stolz der Wachau.

Wenn alle 150 000 Marillenbäume ihre Knospen öffnen, ist das Wachauer Donautal eine einzige pastellfarbene Wolke. Unten am Strom stehen die Bäume dicht an dicht, so dass man mit Recht von einem Blütenmeer sprechen kann, das betörend duftet. Erst recht, wenn sich zu den Marillen die Blüten der Mandelbäume gesellen. Und mit steigenden Temperaturen noch die der Pfirsiche, der Kirschen, Äpfel und Birnen.

Eine Reise durch Österreichs blühende Landschaften ist nicht nur etwas für Augen und Nase, sondern auch für den Gaumen. Dafür sorgen Menschen wie Erich Stierschneider. Der Musterschüler von "Jahrhundertkoch" Eckart Witzigmann ist Chef de Cuisine im "Florianihof" in Wösendorf. Wildkräuter sind seine Passion. Hier ein Waldklee, dort eine Taubnessel. Selbst vor Brennnesseln schreckt er nicht zurück. "Die geben ein feines Süppchen, mit Zander-Nockerln ..."

Der "Florianihof" geht zurück auf das Jahr 1320, das Haus war ursprünglich der Weinlesehof des Stiftes St. Florian in der Wachau. 1978 kaufte die Familie Mandl das historische Kleinod, restaurierte es und machte es - mit Stierschneiders Hilfe - zu einem Spitzenrestaurant mit zwei Gault-Millau-Hauben.

Kräuter sind wichtig in Stierschneiders Küche, aber natürlich auch die Marillen, mit denen er gern experimentiert und sie zu Suppen, Mehlspeisen und Soßen verarbeitet. Dabei schwört er, natürlich, auf die Wachauer Marillen.

Längst ist die Frucht zum Kulturgut aufgestiegen, seit 1996 ist sie unter dem Namen "Wachauer Marille" EU-geschützt. Im Sommer verfallen die Wachauer dem Marillenfieber und zaubern aus den süßen Früchtchen Schnäpse und Liköre, Konfitüre und Gourmet-Essig, Chutneys und Naturkosmetik. Von köstlichen Knödeln und Kuchen ganz zu schweigen.

Bloß eine Stunde ist die Wachau von Wien entfernt. Und doch ist dieses Donautal eine ganz andere Welt. Düstere Ruinen und fröhliche Winzerhöfe prägen die Landschaft, natürlich auch Kirchen und berühmte Klöster wie Melk und Göttweig. Eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch, die seit 2000 Unesco-Welterbe ist.

Zu den "historischen Zeugnissen" zählt natürlich auch der Wein, der hier auf schmalen, schwindelerregend steilen Terrassen wächst. Wer sie betrachtet oder erwandert, der weiß, dass es sich hier um ein Stück Hochkultur handelt, das einst unter härtesten Bedingungen erarbeitet wurde.

Die Wachauer in ihrem Flussarkadien ernten heute die Früchte dieser Plackerei. Ebenso die Touristen, die sich die Weine der Region munden lassen: Steinfeder, Federspiel und Smaragd - die Qualitätsstufen der Wachauer Weißweine klingen so poetisch, wie sie schmecken. Seit der Zeit der Römer ist die Wachau Weinland. Heute zählt der Grüne Veltliner von Winzern wie Jamek oder F.X.Pichler zur Weltspitze. In den USA ist er zum Kultgetränk aufgestiegen.

Und der Nachwuchs wird womöglich noch besser. Andreas Lehensteiner ist so ein vielversprechender Jungwinzer. Während die Eltern im Weißenkirchener Weingut eine Ferienpension bewirtschaften (Fußballveteran Paul Breitner ist dort Stammgast), gelingen dem Sohn dort Weine zum Niederknien wie der Veltliner von den Achleiten oder der Riesling aus der Lage Hinterkirchen.

Nicht nur im "Florianihof" wird wunderbar gekocht, sondern auch in "Holzapfels Prandtauerhof" in Joching: ein prächtiger Gutshof mit Arkaden, praller, sinnenfroher Barock von 1696. Die Menschen, die sich hier im Hof die Frühlingssonne auf die Nase scheinen lassen, sehen sehr zufrieden aus. In ihren Gläsern funkelt hellgolden der Veltliner. Es duftet nach frisch gebackenem Kuchen, und die Kellnerin strahlt mit dem Oleander um die Wette.

Weiter geht es ins malerische Dürnstein. Über dem Städtchen mit seinen verträumten Gassen thront eine Ruine. Dort wurde einst der große Richard Löwenherz gefangen gehalten. Wer sich heute auf der Terrasse des eleganten Schlosshotels mit raffiniert verfeinerter Regionalküche verwöhnen lässt, mit Blick über die Donau, mag ahnen, warum der legendäre englische König nach seiner Freilassung immer wieder von dieser Gegend geschwärmt hat.

Auf der anderen Seite der Donau, in Mautern, kocht eine Königin des Genießens: Lisl Wagner-Bacher, eine der besten Köchinnen Österreichs. Erich Stierschneider war bei ihr in der Lehre. Aber die Sache mit den Waldkräutern, das ist allein sein Ding. Hat er keine Angst, sich mit irgendeinem Teufelskraut den Magen zu verrenken? Da muss er grinsen: "Wie soll ich rausfinden, ob ich aus einer Pflanze was G'scheites zaubern kann, wenn ich sie nicht selber probiert hab'?"