Cruisen, eine Lieblingsbeschäftigung junger Leute in den 50er- und 60er-Jahren, ist in Kalifornien wieder in. Es müssen Autos mit Chromspoilern und tief gesetzten Heckflossen sein, mit Kurven wie bei einer schönen Frau. Dass die Nostalgiewelle gerade durch den Golden State rollt, ist nicht verwunderlich: Der Vorrat an Sonne ist schier endlos, die Straßen sind breit, man kann im Schritttempo fahren. Immer noch hat Cruising einen Hauch von Rock 'n' Roll und erotischem Abenteuer. Dazu die grandiose Landschaft.
Alle Straßen Kaliforniens führen dabei nach San Francisco, in die schönste Stadt des Landes. Keine US-Metropole versammelt auf so wenig Raum so viel Charme. Sie erstreckt sich an der Nordspitze einer Halbinsel in der San Francisco Bay über 43 Hügel. Während andere US-Städte kühle Diven sind, gleicht San Francisco einer alten Hippietante im Schlabbergewand, die jeden Angereisten in ihre nach Patschuli duftenden Arme schließt.
Zu Fuß durch San Francisco
Zudem ist sie leicht zu Fuß zu erkunden, obwohl es sich gut macht, mit dem Straßenkreuzer vor Fisherman's Wharf vorzufahren oder den Wagen am mediterran wirkenden Marina District abzustellen. Fußläufig erkundet man am besten Union Square, Chinatown, das größte Chinesenviertel Nordamerikas, und daneben North Beach, das italienische Viertel mit seinen Eiscafés. Haight-Ashbury war in den 60er-Jahren das Zentrum der Hippie-Bewegung. Geblieben sind kleine Läden, bunte Totempfähle sowie musizierende Althippies mit Nachwuchs.
Mit der bimmelnden Cable Car geht es hinauf nach Nob Hill, Russian Hill und Pacific Heights - jede Straße bietet einen großartigen Rundumblick auf die windgebeutelte "Lady by the Bay". Kühn sprießt die 260 Meter hohe Transamerica-Pyramide aus der Skyline hervor. Die Golden Gate Bridge ist das Wahrzeichen der Stadt. Zwei 230 Meter hohe Pfeiler tragen die fünf Kilometer lange Hängebrücke. Die Überquerung zu Fuß bietet unvergleichliche Ausblicke.
Im bevölkerungsreichsten Staat der USA mit mehr als 35 Millionen Einwohnern gibt es dennoch menschenleere Küstenabschnitte. Südlich von San Francisco bis zur mexikanischen Grenze gilt die Küste als jene der mächtigen Pazifikwellen und wild gezackten Buchten, vor allem rund um Big Sur. Kein Wunder, dass hier muskulöse Jünglinge und junge Frauen den Tanz auf den Wellen wagen.
Nirgendwo gibt es eine solche Dichte an Menschen, denen ein Brett, eine Fangleine, etwas Wachs und ein Neoprenanzug lebenswichtig sind. Die besten Surfreviere finden sich bei Santa Cruz südlich von San Francisco. Selbst in der Metropole gibt es bei Wind Heerscharen von Büroarbeitern, die das Areal unterhalb der Golden Gate Bridge zum Surfspot machen.
Santa Barbara ist die Königin der Missionskirchen, von hier aus wurde Kalifornien christianisiert. In dem Städtchen mit mediterranem Flair, Architektur im altspanischen Stil und quirligem Strandleben, hübsch eingebettet zwischen den bewaldeten Höhen der Santa Ynez Mountains und dem Pazifischen Ozean, lässt es sich in der State Street gut flanieren. Aber Santa Barbara hat vor allem schöne Strände: East Beach und Cabrillo Beach, von der Innenstadt zu Fuß zu erreichen. Am Goleta Beach treffen sich vorwiegend junge Leute, Flirten scheint dort obligatorisch zu sein.
Auch Venice Beach bei Los Angeles ist das Modell eines verschwenderischen, liebens- und lebenswerten Daseins. Der Boardwalk gehört fitnessbewussten Frauen und Muskelmännern, die öffentlich ihr schweißtreibendes Training betreiben. Rollerbladerinnen im Bikini und bunt gekleidete Mountainbiker ziehen Blicke auf sich. Malibu und Santa Monica Beach wiederum sind von Los Angeles Downtown schnell erreicht und beliebte Strände. Das südlicher gelegene Manhattan Beach hat sich zum Zentrum der Beachvolleyballspieler gemausert. Ihr Anblick zieht viele Leute an, für die Körperästhetik Kult ist. Im Golden State geht es stets um Schönheit.
"Jurassic Park" im Norden
Ganz anders präsentiert sich das Kalifornien nördlich der Golden Gate Bridge. Dort beginnt das Land, in dem die Helden und Monster im "Jurassic Park" agierten. Einsam und nebelverhangen sind die Küstenabschnitte, Regenwälder stemmen sich mit über 100 Meter hohen Baumriesen gen Himmel. Auf tiefschwarzem Sand rekeln sich brüllende Seelöwen, Badeurlaubern ist es hier zu kalt. Das Klima ist rauer, vor allem entlang der Lost Coast bis zur Grenze von Oregon, dem längsten Abschnitt zivilisationsloser Küste der USA. Dort sollen Hippies in den Bergen nach wie vor ihre Cannabisfelder hätscheln. Ob sie die schönen Buchten mit Stillleben aus Treibholz, Steinen und wilden Blumen auch nüchtern zu schätzen wissen?