Nordzypern, Geheimtipp für Entdecker

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Volker Mehnert

Wenn man auf einer Mittelmeerinsel einen kilometerlangen Küstenabschnitt ohne Touristen vorfindet, wenn selbst die schönsten Strände verwaist bleiben, wenn im Hinterland mehr Esel als Menschen herumstrolchen, obwohl ein Flughafen in der Nähe liegt, dann könnte man annehmen, hier habe die Ökologie einen Sieg über die Ökonomie davongetragen.

Wenn man auf einer Mittelmeerinsel einen kilometerlangen Küstenabschnitt ohne Touristen vorfindet, wenn selbst die schönsten Strände verwaist bleiben, wenn im Hinterland mehr Esel als Menschen herumstrolchen, obwohl ein Flughafen in der Nähe liegt, dann könnte man annehmen, hier habe die Ökologie einen Sieg über die Ökonomie davongetragen. Aber es ist die über drei Jahrzehnte währende internationale Isolation, die Nordzypern einen Schlaf beschert hat. Nun beginnen der türkische und der griechische Teil sich einander anzunähern. Die Grenzöffnung in der Ledra-Straße in der geteilten Hauptstadt Nikosia am 3. April wird als erste Etappe auf dem Weg zur Wiedervereinigung gewertet.

Auch touristisch beginnt der türkische Teil zu erwachen. Die Halbinsel Karpasia ist der entlegenste Teil des Landes. Wie ein Dorn ragt sie fast hundert Kilometer weit aus dem nordöstlichen Zypern ins Meer hinaus. Olivenhaine, Felder, Büsche und Blumenteppiche scheinen einzig und allein geschaffen für die Menschen, die hier ihre Schafe und Ziegen hüten. Die Strände laden zu Wanderungen durch eine sonnendurchflutete Einsamkeit ein, wie sie am westlichen Mittelmeer längst der Vergangenheit angehört. Der zwei Kilometer lange Golden Beach ist zweifellos der schönste der gesamten Insel.

Den Zugang nach Karpasia bewacht die mächtige Felsenburg Kantara. Die Ruinen dieser Befestigungsanlage aus dem zehnten Jahrhundert stehen auf einem 630 Meter hohen Felsplateau am östlichen Rand des Besparmak-Gebirges. Der Blick schweift über die Halbinsel hinweg, auf die Ebenen und Strände an der zyprischen Ostküste, die Buchten und Klippen der Nordküste und die Hafenstadt Kyrenia. Man meint, ganz Zypern zu überblicken. Die grandiose Lage und der stille Charme von Kantara, davon ist man in diesen Augenblicken überzeugt, ist schon allein die Reise nach Nordzypern wert.

Doch der türkische Inselteil birgt auch kulturelle und historische Schätze. Die Hafenstadt Famagusta besitzt eine der mächtigsten Festungen des Mittelmeerraumes. Ein doppelter Mauerring, im 15. Jahrhundert von den Venezianern errichtet, zieht sich um die Altstadt, die mit römischer und christlicher Vergangenheit und muslimischer Gegenwart beeindruckt. Überreste eines venezianischen Palazzos dienen als Portal zum Hauptplatz, flankiert von der ehemaligen Kirche St. Peter und Paul und den Mauerresten der Franziskanerkirche.

Die ehemalige Nikolauskathedrale, ein gotischer Prachtbau, beherrscht seit Jahrhunderten das Stadtzentrum. Hier ließen sich ab 1298 die Herrscher von Zypern nominell auch zu Königen von Jerusalem krönen, nachdem die Christen aus dem Heiligen Land vertrieben worden waren. Als Zypern unter die Herrschaft der Osmanen fiel, wurde das christliche Gotteshaus zu einem muslimischen umfunktioniert. Der Figurenschmuck im Inneren wurde entfernt, das Gebäude erhielt ein Minarett, die Innenräume wurden mit Teppichen ausgelegt und mit arabischer Schrift versehen.

Große Teile des mittelalterlichen Famagusta wurden mit Steinen aus der antiken Metropole Salamis erbaut, deren Ruinen sich im Norden der Stadt befinden. In der Umgebung findet man weitere Gebäude, die nur halb ausgegraben sind oder seit der zyprischen Teilung erneut mit Sand und Pflanzen überdeckt wurden.

Weil hier seit 1974 die Besucher und damit die Gelder zur Erhaltung fehlen, entfalten die Ruinen einen ganz eigenen Reiz: Wo sonst kann man sich heute ungestört in einer bedeutenden Ausgrabungsstätte umsehen und vom einst pulsierenden Leben zwischen mächtigen Mauern träumen?

Dass diese Art des Träumens noch immer stattfinden kann, ist eigentlich erstaunlich. Besucher haben keine Schwierigkeiten, vom griechischen in den türkischen Inselteil zu reisen. Die Abfertigung erfolgt zügig und freundlich. Als Tourist, so der Eindruck, wird man von beiden Seiten geschätzt. Herumgesprochen hat sich das freilich noch nicht, und so bleibt Nordzypern ein Geheimtipp.