Hunderttausende in Deutschland kümmern sich um die Pflege alter oder kranker Angehöriger. Bei vielen ist das ein täglicher Spagat. Von Januar 2015 an sollen sich Job und Pflege besser zusammenbringen lassen.
Was ändert sich für Angehörige?
Arbeitnehmer sollen mehr Unterstützung bekommen, wenn ein Familienmitglied krank wird und Pflege braucht. Hat der Großvater beispielsweise einen Schlaganfall oder stürzt die Mutter schwer, können Angehörige künftig zehn Tage im Job aussetzen – und erhalten in dieser Zeit bis zu 90 Prozent ihres Nettoeinkommens. Das Familienministerium kalkuliert dafür 100 Millionen Euro Kosten ein. Für den Nachweis reicht ein ärztliches Attest. Die Auszeit gab es bisher schon, aber Lohnersatz gab es dafür bislang nicht.
Was ist, wenn man mehr Zeit braucht?
Wer sich dafür entscheidet, einen Angehörigen selbst zu pflegen, kann sich dafür bis zu sechs Monaten ganz oder teilweise von der Arbeit freistellen lassen. Nach Ablauf dieser Zeit muss der Pflegende wieder teilweise in den Job zurückkehren – und zwar für mindestens 15 Wochenarbeitsstunden. Die Familienpflegezeit darf maximal 24 Monate betragen. Für diese Zeit wird keine Lohnfortzahlung gewährt, der Betreffende kann aber ein zinsloses Darlehen des Bundes in Anspruch nehmen. Es wird in monatlichen Beträgen ausbezahlt und kann nach Ende der Pflegezeit in Raten zurückgezahlt werden. In besonderen Härtefällen – etwa wenn der Pflegende selbst erkrankt ist – kann die Rückzahlung des Kredits erlassen werden.
Wie viel Pflegebedürftige gibt es?
In Deutschland gibt rund 2,6 Millionen Pflegebedürftige. 1,8 Millionen werden ambulant gepflegt, mehr als eine Million von ihnen nach Angaben des Familienministeriums von Familienmitgliedern – den „stillen Helden unserer Gesellschaft“, wie sie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einmal nannte. „Das zeigt, wie groß die Dimension ist. Die Zahlen nehmen zu“, sagt Familienministerin Manuela Schwesig (SPD).
Wer profitiert jetzt?
Die Regelungen gelten für die Pflege naher Angehöriger: Großeltern, Eltern, Schwiegereltern, Ehepartner, Partner in eheähnlichen Gemeinschaften, Geschwister, Kinder, Adoptiv- und Pflegekinder sowie Schwieger- und Enkelkinder. Neu hinzu kommen Stiefeltern, der Schwager oder Partner in homosexuellen Partnerschaften, die keine eingetragenen Lebenspartnerschaften sind.
Warum besteht Handlungsbedarf?
Die bisherigen Angebote wurden kaum genutzt. Von den Familienpflegezeiten machten im vergangenen Jahr nicht mal 150 Menschen Gebrauch – Grund war laut Schwesig, dass der Arbeitgeber den Lohn als Darlehen vorstrecken musste. Durch das neue staatliche Darlehen soll sich das ändern. Das Finanzministerium schätzt, dass 2018 rund 7000 Menschen mit Hilfe der neuen Regeln ihre Arbeitszeit zurückfahren könnten – und 4000 dabei ein Darlehen aufnehmen. Bei der Finanzierung des Lohnersatzes in den ersten zehn Tagen geht das Ministerium von rund 40.000 Anträgen aus – unbezahlt hatten bislang nur rund 9000 Menschen die Auszeit genutzt.
Was, wenn mein Fall nicht exakt in dieses Schema passt?
Die neuen Regeln lassen Raum für Kombi-Lösungen. So könnten beispielsweise Geschwister jeweils einzeln die Familienpflegezeit in Anspruch nehmen, wenn der gemeinsame Vater krank wird. Aus maximal 24 Monaten reduzierter Arbeitszeit bei einem Pflegenden könnten dann etwa vier, sechs oder mehr Jahre werden – je nachdem, wie viele Familienmitglieder mitmachen. Die zehn bezahlten Tage gibt es pro Pflegefall allerdings nur einmal. Wer pflegebedürftig ist, entscheidet ein Arzt.
Was sagt der Berliner Senat?
„Ein Pflegefall tritt häufig unerwartet ein. Angehörige müssen dann viele Entscheidungen treffen und haben dafür nur sehr wenig Zeit. Ich begrüße es, dass die Betroffenen ineiner so wichtigen Situation mehr Zeit und Raum bekommen, um die Betreuung von Partner, Eltern oder Kindern zu regeln“, sagte Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU).