Kommentar

Aus dem Gleichgewicht

| Lesedauer: 3 Minuten

Jochim Stoltenberg über die deutlich steigenden Renten und die nachfolgenden Generationen

Mit den Prognosen ist das bekanntlich so eine Sache. Man kann sich auf sie nicht verlassen. Aber sie zeigen immerhin einen Trend an. Und der signalisiert für die 20 Millionen Rentner in Deutschland Erfreuliches. Ihre Alterbezüge werden bis 2016 deutlich steigen. Das ist kein weiteres wahltaktisches Versprechen, sondern gründet auf der gesetzlich geregelten Rentenanpassungsformel. Die richtet sich entscheidend nach der Entwicklung der Bruttolöhne. Die vergleichsweise gute Entwicklung der deutschen Wirtschaft und damit verbunden die deutlich verbesserte Lohnentwicklung lassen die Voraussagen realistisch erscheinen. Zumal die Konjunkturentwicklung trotz einiger Schwächetendenzen in den nächsten Jahren von einem schweren Einbruch verschont bleiben dürfte.

Worüber sich die Rentner nach einem arbeitsreichen Leben, das dem Land nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zu neuer Blüte verholfen hat, zu Recht freuen können, bereitet der nachwachsenden Generation zunehmend Kopfzerbrechen bis hin zu existenziellen Zukunftssorgen. Weil die Geburtenrate seit Jahren sinkt, gerät die Alterspyramide aus dem Gleichgewicht. Und damit der Generationenvertrag. Nach diesem zahlen die aktiven sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer ihre Rentenbeiträge, aus denen den Alten das Ruhegeld beziehen. Die Jungen andererseits zahlen in der zugesicherten Erwartung, dass auch sie nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben mit einer auskömmlichen „Apanage“ rechnen können. Doch dieser Vertrag bröselt und ist spätestens in 20 Jahren zerbrochen. Angesichts der Bevölkerungsentwicklung im Lande wird nach dem gegenwärtigen Rentensystem ab 2030 ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer für die Rente eines Ruheständlers aufkommen müssen. Das kann nicht funktionieren.

Dies wissen längst auch die Parteien. Doch sie doktern weiter nur an Symptomen herum, empfehlen Rezepte allenfalls für Teilprobleme des drohenden Generationenkonflikts. So hält die Koalition an der schrittweisen Verlängerung der Arbeitszeit bis 67 fest und diskutiert eine staatliche Zuschussrente für die, die in ihrem Arbeitsleben zu wenig verdient haben, um vor Altersarmut geschützt zu sein. Die SPD hat gerade ein kostspieliges Rentenkonzept beschlossen und sich vorerst von der Rente mit 67 Jahren verabschiedet, um im nächsten Wahlkampf nicht erneut in die Rentenfalle zu tappen. Ihr Konzept blendet – wie schon Kanzler Schröder 1998 – die demografischen Prognosen aus und steht finanziell auf ebenso tönernen Füssen wie die Rentenpläne der Koalition.

Mit rund 80 Milliarden Euro aus Steuermitteln wird schon jetzt, in vergleichsweisen guten Renten-Zeiten, die Altersversorgung subventioniert. All das macht deutlich, dass das Land und damit die Politik um eine durchgreifende Rentenreform nicht herumkommen, die eine realistische Antwort auf die sich dramatisch verändernde Bevölkerungsstruktur gibt. Die Lösung kann wie bei allen früheren großen Rentenreformen nur eine überparteiliche sein. Nach der Bundestagswahl müssen sich die Parteien dazu durchringen.