Wahlen in NRW

Kraft steht vor dem Sieg

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Kristian Frigelj

NRW wählt am Sonntag ein neues Parlament. Eine Minderheitsregierung soll es diesmal nicht mehr geben

- Ein Warnhinweis ist am Eingang des Plenarsaals angebracht, in dem sonst die Abgeordneten debattieren: "Helmpflicht" steht auf einem Zettel. Monteure bauen dort aus schweren Elementen ein Wahlstudio für das ZDF zusammen. In der Wandelhalle des Landtags von Nordrhein-Westfalen errichten die Privatsender ihre Kulissen, unten im Foyer entstehen die TV-Hotspots von ARD und WDR. Die technischen Vorbereitungen für die Wahlberichterstattung am Sonntag laufen auf Hochtouren. Immerhin gilt die Abstimmung im bevölkerungsreichsten Bundesland mit rund 13,2 Millionen Wahlberechtigten als kleine Bundestagswahl.

Am Freitagnachmittag kam Bundeskanzlerin Angela Merkel mit CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen zur Kundgebung in die Altstadt von Düsseldorf. Zeitgleich traten die SPD-Granden Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in der "Jahrhunderthalle" von Bochum auf. Sie wollen im letzten Augenblick Wähler mobilisieren.

Nur 60 Tage hat der "Turbowahlkampf" nach dem überraschend gescheiterten rot-grünen Haushaltsentwurf 2012 und der Auflösung des Landtags gedauert. Permanent werden Umfragen analysiert, um Chancen und Risiken auszuloten. Die Parteien versuchen, das Ergebnis vorauszuahnen. Dabei hat schon 1970 der damalige Ministerpräsident Heinz Kühn in einer Landtagsdebatte gesagt: "Demoskopie ist heute für Wahlkämpfer oft dasselbe, was für den Feldherrn Wallenstein die Astrologie war." Frivol fügte Kühn noch hinzu: "Die Demoskopie ist ein bisschen wie ein Bikini, der immer anschaulich das darstellt, was der Bikini zeigen will, aber das, was man noch gern wissen möchte, doch verhüllt."

Sie erinnert an Johannes Rau

Es gibt wenige Gewissheiten, doch nach gut einem Dutzend bekannter Umfragen seit Mitte März scheinen sich zumindest Tendenzen zu verfestigen: Demnach dürfte die SPD am Sonntagabend vor der CDU liegen und der Piratenpartei erstmals der Einzug in den Landtag gelingen. Für alles andere bleibt nur Hoffen oder Bangen. Zwar wird Rot-Grün immer wieder eine knappe Mehrheit prognostiziert, doch es könnten nur wenige Prozentpunkte den Ausschlag geben, ob die Koalition mit einer eigenen Mehrheit ausgestattet wird oder ob wie 2010 eine Hängepartie mit wochenlangen Sondierungsgesprächen und Spekulationen über Rot-Schwarz und Ampel-Bündnisse droht. Eine zweite Auflage der Minderheitsregierung, ohne selbstständige Mehrheit im Parlament, hat Kraft jedenfalls vorzeitig ausgeschlossen: "Nicht noch mal. Klare Verhältnisse."

Diese unerwartete Landtagswahl ein Jahr vor der Bundestagswahl 2013 entscheidet über die Zukunft des politischen Spitzenpersonals. Kraft könnte zur Hoffnungsträgerin der SPD avancieren, falls sie ihre Partei an die magische 40-Prozent-Marke zurückführt. Es ließe sich von der SPD als Zeichen deuten, dass die Sozialdemokraten ihren Hartz-Fluch überwinden können und der CDU-Wahlsieg von Jürgen Rüttgers im Jahre 2005 eine historische Episode war.

Die SPD-Landespartei schwärmt von Kraft als integrativer, kümmernder Leitfigur, die der Partei seit dem Rückzug von Johannes Rau 1998 gefehlt hatte. Es waren emotional karge Jahre unter den polarisierenden SPD-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement und Peer Steinbrück. Zudem erlebte die Partei einen beispiellosen Niedergang, als Gerhard Schröder 2003 die Hartz-Reformen auf den Weg brachte. 2005 wählten überdurchschnittlich viele Arbeiter die CDU, weshalb sich Rüttgers als "Vorsitzender der Arbeiterpartei" rühmte. Kraft menschelt sich jetzt authentisch durch den Wahlkampf - "Hannelore Rau", hat "Spiegel online" die 50-Jährige genannt.

Ein Hinweis auf den Kraft-Effekt scheint auch der Abstand zu den SPD-Bundeswerten zu sein. "Die nordrhein-westfälische SPD lag in guten Zeiten unter Johannes Rau auch ungefähr zehn Prozentpunkte über dem Bundestrend. Die Zeiten scheinen wir wieder zu haben, und das ist eindeutig Hannelore Krafts Erfolg", sagte SPD-Parteichef Sigmar Gabriel der Berliner Morgenpost. Kraft sei 2010 "wohl eher gewählt worden, weil man Jürgen Rüttgers weghaben wollte. Heute wählt man SPD wegen Hannelore Kraft. Sie hat sich ihre Popularität selbst erarbeitet." Die Vorsitzende des größten SPD-Landesverbandes könnte bei einem überzeugenden Sieg eine wichtige Rolle im Bundestagswahlkampf übernehmen, zumindest als Menschenfischerin, denn eine eigene Kanzlerkandidatur hat sie bereits ausgeschlossen.

Eine ähnliche Begeisterung kann CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen in der Union nicht entfachen. Vielmehr macht sich Entsetzen breit über seinen misslungenen Wahlkampf. Zu allem Übel wurde der Bundesumweltminister am Freitag mit seinen Plänen zur Kürzung der Solarförderung im Bundesrat vorerst gestoppt - mithilfe von unionsgeführten Ländern.

Mit geradezu aufreizender Leichtigkeit absolviert FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner den Wahlkampf. Zum Jahresende war er als Generalsekretär von FDP-Parteichef Philipp Rösler zurückgetreten, sein Höhenflug in Berlin schien einstweilen beendet. Doch der 33-Jährige hat, ähnlich wie Wolfgang Kubicki in Schleswig-Holstein, neues Feuer entfacht. In vielen Umfragen wird prognostiziert, dass die FDP wieder über die Fünf-Prozent-Hürde des nordrhein-westfälischen Parlaments gelangen könnte. Der FDP-Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher hat Lindner auf den Schild gehoben als "Hoffnungsträger der liberalen Partei in Deutschland" - ein weiteres wegweisendes Signal für Berlin.

( Mitarbeit: J. Gaugele,T. Vitzthum )