Solche Therapien werden von Ärzten angeboten. Sie heißen "individuelle Gesundheitsleistungen" - das sind Behandlungen, die zwischen Arzt und Patient direkt vereinbart und direkt bezahlt werden. Außer den Bachblüten geht es dabei um Akupunktur oder die Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs. Für die Ärzte sind das wichtige Zusatzeinnahmen. Der Markt mit solchen Angeboten boomt, das Wissenschaftliche Institut der AOK schätzt den jährlichen Umsatz auf 1,5 Milliarden Euro. Jeder vierte Patient bekommt beim Arzt eine individuelle Gesundheitsleistung - kurz: Igel - angeboten.
Vergleich mit Haustürgeschäften
Mit dem Internetportal "Igel-Monitor" wollen die Krankenkassen nun für Klarheit sorgen. Denn "in vielen Fällen sind solche Leistungen ein großes Ärgernis", sagte die Chefin des Spitzenverbands der Krankenkassen, Doris Pfeiffer. Sie verglich das Igel-Angebot schon einmal mit "Haustürgeschäften von Staubsaugervertretern".
Fakt ist, dass die medizinische Wirksamkeit mancher individueller Gesundheitsleistung umstritten ist. Und: Die meisten Patienten können in der Regel nur schwer beurteilen, ob sie diese Leistungen wirklich benötigen. Deshalb forderte Pfeiffer nun eine Einspruchsfrist für Versicherte, wenn der Arzt eine Igel-Leistung verkauft. "Wenn Ärzte eine Igel-Leistung erst machen dürfen, wenn der Patient 24 Stunden Bedenkzeit hatte, wird das Überrumpeln in der Arztpraxis unterbunden", sagte sie bei der Vorstellung des Internetportals. Haustürgeschäfte könne ein Kunde ja auch nachträglich widerrufen. Die Verbandschefin forderte Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) auf, das geplante Patientenschutzgesetz in dieser Hinsicht nachzubessern. Die Regelungen dort seien noch höchst unzureichend.
Der "Igel-Monitor" im Internet soll nun das Wissen der Patienten über Igel-Leistungen vergrößern, die Seite ist seit Mittwoch online. Dort findet sich eine Liste von 24 Igel-Leistungen, die besonders häufig angeboten werden. Dazu zählen die Glaukom-Vorsorgeuntersuchung beim Augenarzt und der Ultraschall zur Krebsfrüherkennung beim Frauenarzt. Experten des Medizinischen Diensts der Krankenkassen (MDS) haben die Angebote nach fünf Kategorien unterteilt. In sieben Fällen kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die Leistung "tendenziell negativ" zu bewerten war. Bei vier Leistungen wog der Schaden sogar schwerer als der Nutzen.
"Wir wollen Patienten vor Maßnahmen schützen, die nicht nachgewiesenermaßen mehr Vorteile als Nachteile bedeuten", sagte MDS-Expertin Monika Lelgmann. Dies werde nicht von jeder Leistung erfüllt. Man sei bei der Beurteilung der Igel-Leistungen vorsichtig vorgegangen. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass jeder Eingriff in den Körper Schaden anrichte, der nur durch den Nachweis eines klaren Nutzens zu rechtfertigen sei. Sei dies nicht der Fall, falle das Urteil über eine Leistung tendenziell negativ aus. "Die Anforderung an den Beleg des Nutzens einer Maßnahme ist bei gesunden Menschen besonders hoch anzusetzen", sagte Lelgmann.
Der Trend, dass Ärzte immer mehr Leistungen anbieten, die von den Kassen nicht übernommen werden, macht auch ihren Standesorganisationen Sorge. So appellierte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler, Ende des vergangenen Jahres an seine Kollegen, mit dem Thema sensibel umzugehen. Sie sollten das Vertrauen der Patienten nicht aufs Spiel setzen. Zuvor hatte eine Befragung von Patienten im Auftrag der KBV ergeben, dass der Anteil der Patienten, die die Leistungen angeboten bekommen, gestiegen war und dass viele von ihnen die Bedenkzeit zur Annahme eines solchen Angebots als zu kurz empfinden.
Ärzte sprechen von Grauzone
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, wies anlässlich der Vorstellung des "Igel-Monitors" darauf hin, dass zum Spektrum der individuellen Leistungen auch Sportuntersuchungen, Schulatteste oder Reiseimpfungen gehörten, die aus der Erstattungspflicht der Krankenkassen herausgenommen worden seien. Sie könnten im Einzelfall durchaus sinnvoll sein und würden von den Patienten gezielt nachgefragt. Es sei "nicht immer ganz einfach, eine genaue Grenze zu ziehen zwischen dem, was medizinisch notwendig ist, und dem, was von den Patienten als Wunschleistung gefordert und auch noch ärztlich empfehlenswert oder vertretbar ist", sagte Montgomery.
Wie viele und welche Leistungen den Versicherten angeboten werden, ist nicht offiziell dokumentiert. Die Angaben stammen aus Patientenbefragungen, die von Ärzten oder Krankenkassen in Auftrag gegeben wurden. So zeigt eine Untersuchung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK von 2010, dass Frauen Igel-Leistungen häufiger angeboten bekommen als Männer. Die Analyse der Umfragedaten zeigt auch einen positiven Zusammenhang zwischen dem Angebot privater Leistungen und dem Einkommen sowie der Schulbildung der Patienten. So ist nach Auskunft der Versicherten das Angebot umso größer, je größer das Haushaltsnettoeinkommen ist. Während in der unteren Einkommensgruppe (unter 1000 Euro) nur jeder Sechste Privatleistungen angeboten bekam, berichtet bei Einkommen über 4000 Euro mehr als ein Drittel der Befragten von solchen Erfahrungen in der Arztpraxis. Dieser Befund untermauert die Annahme von Kassenverbandschefin Pfeiffer, dass die Hauptmotivation der Ärzte für Igel-Leistungen weniger die medizinische Notwendigkeit ist als das "ökonomische Kalkül", wie Pfeiffer es ausdrückte.