Interview

"Niedliche Küken im Stroh"

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Am Freitag beginnt die Grüne Woche, die Leistungsschau der Landwirtschaft. Und die Branche wird kritisiert: Der Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung hat Verbraucher und Tierschützer aufgeschreckt. Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) kündigt im Gespräch mit Claudia Ehrenstein Konsequenzen an.

Berliner Morgenpost: Dioxin in Hühnereiern, antibiotikaresistente Keime auf Geflügelfleisch. Vergeht Ihnen da manchmal der Appetit, Frau Aigner?

Ilse Aigner: Nein - ich weiß, dass die Qualität unserer Lebensmittel in Deutschland und Europa sehr hoch ist. Alle Produkte, die auf den Markt kommen, müssen sicher sein. Dafür gibt es strenge Vorschriften für die Hersteller und Kontrollen seitens der zuständigen Länder. Und die Kontrollen sind ja gerade dazu da, Mängel aufzudecken.

Berliner Morgenpost: Schmeckt es Ihnen, wenn Sie daran denken, unter welchen Bedingungen Nutztiere oft gehalten werden?

Ilse Aigner: Der Tierschutz in der Landwirtschaft wurde in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestärkt, auch auf europäischer Ebene. Richtig ist, dass wir ständig überprüfen müssen, ob die Haltungsbedingungen auch vertretbar sind. Ich werde deshalb das nationale Tierschutzrecht in entscheidenden Punkten verbessern - der Gesetzentwurf liegt bereits vor. Im Mittelpunkt steht dabei das Tierwohl.

Berliner Morgenpost: Kann der Mensch sicher wissen, wann es einem Tier gut geht?

Ilse Aigner: Bei der Beurteilung des Tierwohls werden oft allzu menschliche Maßstäbe angelegt. Wo sich der Mensch wohlfühlt, muss sich nicht automatisch auch das Tier wohlfühlen. Der wichtigste Indikator ist die Tiergesundheit, denn tierschutzwidrige Haltungsbedingungen machen oft krank. Haltungssysteme etwa, die nur mit einem erheblichen Einsatz von Antibiotika funktionieren, müssen deshalb verändert werden.

Berliner Morgenpost: Ist Massentierhaltung mit weniger Antibiotika überhaupt möglich?

Ilse Aigner: Schon ein gutes Stallmanagement mit sorgfältiger Hygiene und guter Belüftung kann helfen, Krankheiten zu verhindern, und den Einsatz von Medikamenten oft überflüssig machen. Die Gesundheit der Tiere hängt stark davon ab, wie der Landwirt seinen Betrieb führt. Die allermeisten Landwirte gehen sehr gewissenhaft, verantwortungsvoll und fürsorglich mit ihren Tieren um. Unabhängig davon, ob der Stall groß oder klein ist.

Berliner Morgenpost: Die Menschen wollen Fleisch essen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Warum setzen Sie der Massentierhaltung keine Grenzen?

Ilse Aigner: Wo beginnt Massentierhaltung? Es ist nicht generell so, dass es einer großen Anzahl von Tieren in großen Ställen schlechter gehen muss und es wenige Tiere in kleineren Ställen grundsätzlich besser haben. Gerade moderne Großbetriebe erfüllen oft höchste Standards. Andererseits gibt es auch Grenzen des Wachstums. Wo sie erreicht sind, müssen wir Änderungen vornehmen.

Berliner Morgenpost: Welchen Einfluss haben Handelskonzerne und Discounter, um Bedingungen in der Landwirtschaft zu verändern?

Ilse Aigner: Sie haben enormen Einfluss: Die Standards, die diese Unternehmen fordern, gehen zum Teil über die gesetzlichen Vorgaben hinaus. Zum Beispiel hat der Handel Eier aus konventioneller Käfighaltung schon längst ausgelistet, weil die meisten Verbraucher diese nicht wollen.

Berliner Morgenpost: Wie groß ist die Macht der Verbraucher?

Ilse Aigner: Groß. Sie allein entscheiden über den Erfolg oder Misserfolg eines Produkts oder einer Geschäftsidee. Mit ihrer Nachfrage können die Verbraucher auch bestimmte Produktionsweisen gezielt fördern. Sie brauchen dabei aber verlässliche Kennzeichnungen, um sich im Supermarkt orientieren zu können. Deshalb habe ich mich auf europäischer Ebene mit Erfolg für eine verbesserte Lebensmittelkennzeichnung eingesetzt. Und ich trete dafür ein, EU-weit einheitliche Kriterien für eine tierschutzgerechtere Nutztierhaltung weiterzuentwickeln und eine entsprechende Tierwohlkennzeichnung einzuführen. So können die Verbraucher künftig selbst Einfluss auf die Haltungsbedingungen nehmen. Immer mehr Verbraucher sind bereit, für besonders hohe Standards mehr zu bezahlen. Mir ist wichtig, dass Siegel der Hersteller halten, was sie versprechen. Was draufsteht, muss auch drin sein.

Berliner Morgenpost: In den Köpfen hält sich eine verklärte Vorstellung vom Bauernhof. Brauchen wir ein realistischeres Bild von der heutigen Landwirtschaft?

Ilse Aigner: Unbedingt. Niemand würde zu Hause in seiner Küche noch so hantieren wollen wie vor 50 Jahren. Wir haben Spülmaschinen, Mixer, Kühlschränke und Kaffeeautomaten. Technologischer Fortschritt ist doch etwas Positives. Ich möchte nicht darauf verzichten. Satellitennavigation, Melkmaschine und Mähdrescher erleichtern den Arbeitsalltag der Bauern. Manche Verbraucher aber sehen Technik in der Landwirtschaft eher kritisch oder verteufeln sie sogar.

Berliner Morgenpost: Woran liegt es?

Ilse Aigner: Lebensmittelhersteller erzeugen ein Zerrbild, wenn sie ausschließlich mit romantischen Motiven für ihre Produkte werben: mit Kühen vor Alpenpanorama, niedlichen Küken im Stroh oder Mägden, die gusseiserne Milchkannen über den Hof tragen. Gleichzeitig ist das aber auch die Wunschvorstellung vieler Verbraucher. Denken Sie mal drüber nach, unter welchen hygienischen Bedingungen die Milch damals produziert und transportiert wurde und wie schnell sie früher verunreinigt werden konnte. Heute sind Hygienestandards und Kontrollen um ein Vielfaches schärfer. Ich habe gerade eine moderne Molkerei in Bayern besucht, die beinahe unter OP-Bedingungen arbeitet.

Berliner Morgenpost: Auf der einen Seite empören sich Verbraucher über die Massenproduktion. Auf der anderen Seite werfen sie viele Lebensmittel in den Müll. Wie passt das zusammen?

Ilse Aigner: Jahr für Jahr werden zwischen sechs und 20 Millionen Tonnen Lebensmittel in den Müll geworfen. Die Schätzungen gehen da weit auseinander. Um Klarheit zu schaffen, lasse ich gerade in einer Studie untersuchen, wo welche Mengen weggeworfen werden. Und wir sorgen für mehr Aufklärung - etwa über das Mindesthaltbarkeitsdatum. Manche Verbraucher unterliegen dem Missverständnis, dass es sich dabei um ein Verfallsdatum handelt.

Berliner Morgenpost: Sie wünschen sich mehr Wertschätzung für Lebensmittel. Wie wollen Sie das erreichen?

Ilse Aigner: Ich freue mich, dass der Trend zu Kochshows, Kochbüchern und Kochkursen ungebrochen ist. Das alles trägt dazu bei, sich über Lebensmittel mehr Gedanken zu machen. Wir müssen das Bewusstsein der Verbraucher für den Wert der Lebensmittel schärfen. Wir alle müssen uns wieder bewusster machen, wie viel Energie und Ressourcen nötig sind, um jeden Tag hochwertige Nahrungsmittel herzustellen.