Bildung

Herkunft entscheidet über Schulnoten

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Miriam Hollstein

Fast jeder Schüler wird von sich sagen, Lehrer hätten ihn einmal "ungerecht" benotet. Das hängt unter anderem mit der sozialen Herkunft eines Schülers zusammen, wie eine Studie im Auftrag der Vodafone-Stiftung ergab. Forscher der Universität Potsdam, der Universität Tübingen und der Universität Freiburg in der Schweiz untersuchten die Daten von vier großen Bildungsstudien aus Deutschland und der Schweiz. Ihr Fazit: Nicht nur die echte Leistung, sondern auch der soziale Hintergrund der Schüler beeinflusst Noten und Empfehlung für eine weiterführende Schule deutlich.

Kinder aus bildungsfernen Schichten haben danach - selbst bei gleicher Leistung - durchschnittlich schlechtere Noten als Kinder aus Akademikerfamilien. Das könne sowohl in der Grundschule als auch am Ende der gymnasialen Oberstufe nachgewiesen werden, sagte Kai Maaz, Professor der Universität Potsdam. Besonders wirkten sich diese sozialen Nachteile in der Empfehlung beim Übergang von der Grundschule zum Gymnasium aus.

Die Leistung eines Schülers beeinflusst nur zu knapp 50 Prozent die Notengebung. Der Bildungshintergrund der Eltern, etwa ob sie einen Hochschul- oder nur einen Hauptschulabschluss haben, macht 19,4 Prozent aus, die Frage, ob sich im Elternhaus Bücher befinden, 18,3 Prozent. Praktisch unwichtig bei der Notenvergabe ist, ob Schüler aus Einwandererfamilien stammen. Sie erhielten bei gleicher Leistung auch gleiche Noten.

Ermittelt wurde die Leistung der Schüler durch standardisierte Tests. 23,4 Prozent der Schüler hatten unterschiedliche Schulempfehlungen erhalten, obwohl sie im Test gleich abgeschnitten hatten, wie die Forscher feststellten. Weitere 25,5 Prozent erhielten unterschiedliche Noten bei gleicher Leistung während der Grundschulzeit, was die Empfehlung für die weiterführende Schule ebenfalls beeinflusste.

Die Forscher untersuchten auch, wie sich die Gymnasialquote änderte, wenn die soziale Herkunft keine Rolle bei schulischen Leistungen spielte. Derzeit beträgt der Anteil von Arbeiterkindern auf dem Gymnasium 19,2 Prozent. Würde die soziale Herkunft sich nicht auswirken, würden nach der Prognose 31,7 Prozent der Arbeiterkinder ein Gymnasium besuchen. Und entschieden Eltern bei der Wahl der Schulform unabhängig von ihrer sozialen Schicht, betrüge der Anteil der Arbeiterkinder an den Gymnasiasten 32,5 Prozent. Denn die Eltern, berichteten die Forscher, entschieden sich manchmal aus Unsicherheit, aus finanziellen Gründen oder aus Desinteresse selbst dann gegen das Gymnasium, wenn das Kind eine entsprechende Empfehlung bekommen habe.

Falsche Empfehlung

Auch die Lehrer wurden im Rahmen der Studien befragt: 5,6 Prozent von ihnen gaben an, eine Gymnasialempfehlung ausgesprochen zu haben, auch wenn sie selbst eine andere Schulart für angemessen gehalten hätten. Dies war sehr viel häufiger der Fall, wenn das Kind aus einem Akademikerhaushalt stammte. Deutlich wurde bei der Befragung auch, welche wichtige Rolle Lehrer dem familiären und sozialen Umfeld der Schüler zumessen. Keine Belege fanden die Bildungsforscher hingegen dafür, dass Kinder aus sozial schwachen Familien deshalb schlechtere Noten bekommen, weil sie weniger Bereitschaft zeigen, sich im Unterricht anzustrengen.

"Die Studie zeigt, wie wichtig individuelle Förderung sozial schwacher Kinder ist, damit diese nicht schon in einem frühen Stadium ihrer Bildungslaufbahn wegen schlechterer Leistungen abgehängt werden", sagte Mark Speich, Geschäftsführer der Vodafone Stiftung Deutschland in Berlin. Die Tatsache, dass auch Noten und Schulempfehlungen zur sozialen Ungleichheit beitrügen, dürfe nicht zu verstärkter Lehrerschelte führen. Er schlägt vor, den Zugang zu weiterführenden Schulen anders zu regeln. Im schweizerischen Freiburg werden bei der Empfehlung für die weiterführende Schule nicht nur die Noten, die Einschätzung der Lehrer und die Wünsche der Eltern berücksichtigt. Die Schüler müssen auch einen standardisierten Test absolvieren, der anonymisiert ausgewertet wird. Dessen Ergebnis fließt in die Bewertung ein.