Nazi-Aufmarsch

Dresden wehrt sich

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Alan Posener

Mittags in Dresden. Der Staat zeigt Flagge. Die Polizei hat die Elbbrücken gesperrt, Dresden-Neustadt wirkt wie eine besetzte Stadt. Einheiten aus Potsdam und Hamburg, Mainz und Frankfurt bestimmen das Straßenbild. Eine Hubschrauberflotte kreuzt im Tiefflug. Trotzdem haben sich etwa 1000 Leute der "Antifa" zu einer Kundgebung auf der Neustädter Elbseite versammelt.

Fahnen der MLPD und der "Antifaschistischen Aktion", im merkwürdigen Gegensatz dazu Nenas "99 Luftballons" vom Lautsprecherwagen. Es sind größtenteils freundliche Kindergesichter, aber man ahnt, hier könnte es später unangenehm werden.

Am Neustädter Bahnhof bilden Rechtsextremisten einen kläglichen Haufen von höchstens 700 Leuten zwischen Dixi-Klos und "Babos Dönerpoint". Unter den Demonstranten sind NPD-Chef Udo Voigt und Roland Wuttke, der Pressesprecher der bayerischen NPD. Der geplante "Trauermarsch" der Neonazis aber bleibt stecken, noch bevor er angefangen hat.

Tausende Gegendemonstranten blockieren stundenlang die Zugänge zum Treffpunkt am Neustädter Bahnhof. "Keinen Zentimeter Platz für braunen Ungeist", ruft Bodo Ramelow als Losung aus. Der Linke-Fraktionschef aus Thüringen ist als Vermittler eingesetzt zwischen Demonstranten und Polizei. Diese löst die Kundgebung schließlich um 17 Uhr auf. Am Ende ist ihre Strategie aufgegangen, die Rechtsradikalen von den linken Gegendemonstranten zu trennen: Sie hat der "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO) für ihre "Trauerdemonstration" das rechte Elbufer zugewiesen und den Linken einen Versammlungsplatz in der Altstadt, auf dem linken Ufer. Und doch versuchen verschiedene linke Gruppen, die Kundgebung der rechten Geschichtsrevisionisten zu stören.

Nur vereinzelte Brandherde

Während die Gegenseite am Abend von einem "vollen Erfolg" spricht, sagt Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU): Dresden habe den angereisten Neonazis klar die Stirn geboten. Die Polizei registriert "vereinzelte Brandherde", einige Festnahmen, einige Verletzte. Größere Zusammenstöße bleiben jedoch aus. Die rechtsextreme Szene missbrauchte den Tag, an dem Dresden seiner Zerstörung im Februar 1945 gedenkt, in den vergangenen Jahren wiederholt für ihre Zwecke, um die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg zu leugnen oder zumindest abzuschwächen.

Heute tut sich auf der anderen Seite der Elbe, in der Altstadt, eine andere Welt auf, in der die dunklen Fantasien der Rechtsextremisten ebenso wenig Platz haben wie die Hysterie der Antifa-Kinder. Mit 6000 Menschen haben die Organisatoren einer Menschenkette gerechnet. Ab 13 Uhr gliedern sich dann aber immer mehr Bürger ein in diese Kette, die von der Synagoge am Elbufer bis zum Neumarkt führt, wo die damals zerstörte, jetzt wieder aufgebaute Frauenkirche steht. Zur stummen Demonstration im Zeichen der Weißen Rose, der Widerstandsgruppe der Geschwister Hans und Sophie Scholl, haben Ministerpräsident Tillich und Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) aufgerufen.

Und am Ende sind es rund 15 000 Menschen, die Hand in Hand für politische Vernunft demonstrieren: Gewerkschafter und Arbeitgeber mit ihren Belegschaften, Nonnen und Leute mit der bunten Fahne der Schwulenbewegung. Hier zeigt der oft belächelte deutsche Mainstream sein Gesicht, und es ist das Gesicht des Bürgertums, ein Gesicht, auf das man stolz sein kann.

Während sich also eine - von außen verstärkte - Minderheit auf Krawall vorbereitet, bemüht sich das bürgerliche, das staatsbürgerliche Dresden darum, ein würdiges Gedenken an die 25 000 Opfer der Bombenangriffe vom 13. und 14. Februar 1945 mit einer Abwehr der Radikalen zu verbinden.

Bürgermeisterin Orosz ist beeindruckt vom Erfolg der Menschenkette: "Wir machen die Stadt zu einer Festung gegen Intoleranz und Dummheit", sagt sie. Und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen, die Präsidentin des Evangelischen Kirchentags 2012 in Dresden, sagt zu Beginn des Friedensgebetes: "Es ist gut, dass wir nicht stillhalten. Es ist gut, dass wir aufstehen und für die Demokratie kämpfen."

Dass die Bürger ihre Stadt friedlich besetzen sollten, um die Erinnerung nicht den Radikalen zu überlassen, war ein Wagnis. Konnte man auf den Bürgersinn setzen? Oder würde die Kälte den Extremisten - insgesamt sollen rund 5000 Rechtsradikale in der Stadt sein - in die Hände spielen? Der Bürgersinn ist diesmal stärker.

Um 10 Uhr findet in der neuen Synagoge am Hasenberg ein Schabbat-Gottesdienst statt, um 11 Uhr werden Kränze an der Gedenkmauer auf dem Heidefriedhof niedergelegt. Abends gibt es eine Vesper in der Kreuzkirche, einen katholischen Gedenkgottesdienst in der Hofkirche. In der Semperoper, die vor 25 Jahren wiedereröffnet worden ist, wird ein Gedenkkonzert gegeben. Um 21.45 Uhr, dem Zeitpunkt der ersten Angriffswelle der "No. 5 Bomber Group" der Royal Air Force, läuten alle Kirchenglocken in der Stadt.

"Signal für Völkerverständigung"

Zum Abschluss des Aktionstages versammeln sich die Dresdner zu einem stillen Gedenken vor der Frauenkirche. Dort betont der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), Dresden habe als symbolischer Ort die Chance und Verpflichtung, sich stellvertretend auch für andere zu erinnern. Dabei dürfe die Gesellschaft aber nicht stehenbleiben. "Wir sind geradezu verpflichtet, von Dresden aus immer wieder ein Signal für Frieden und Völkerverständigung, für Demokratie und Menschenrechte in die Welt zu senden", sagt Baum. Er erlebte 1945 die Luftangriffe selbst mit. "Die Bomben sind mitten in unser Leben gefallen", erinnert sich der gebürtige Dresdner. Diese Nacht "ist ein Lebenstrauma, das ich nie richtig verarbeiten konnte".