Ankara - Nach dem klaren Wahlsieg der Islam-Partei AKP wird in Ankara über die Nominierung des künftigen Regierungschefs beraten. Bis Ende November soll, so Wahlsieger Recep Tayyip Erdogan, die neue Regierung stehen. Erdogan darf nach einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen die weltliche Ordnung laut Verfassung das Regierungsamt nicht übernehmen.
Herr Erdogan, Ihre Partei ist ein Sammelbecken. Nicht alle AKP-Wähler befürworten das Kopftuchtragen. Wie wollen Sie die verschiedenen Strömungen zusammen bringen?
Recep Tayyip Erdogan: Das Kopftuch ist für uns kein Problem, für unsere Wähler und unsere Kader auch nicht. Wir vertreten die große konservative demokratische Mitte der Türkei. Unsere Partei spricht mit einer Stimme. Es gibt keine Kräfte unter uns, die einen radikalen Kurs durchsetzen wollen.
Dennoch kommt erstmals in der laizistisch geprägten Türkei eine stark religiös geprägte Partei mit einem klaren Mandat an die Macht. Ist das kein Widerspruch?
Keine Sorge: Wir werden eindeutig beweisen, was wir immer geglaubt haben. Islam und Demokratie stehen nicht im Konflikt zueinander.
Noch in der Wahlnacht haben Sie die Annäherung an die EU zur «absoluten Priorität» erhoben. Wie wollen Sie vorgehen?
Unser Ziel ist klar: Wir wollen Vollmitglied werden. Wir erwarten ein konkretes Datum für den Beginn der Beitrittsverhandlungen. Wir wollen keine Zeit verlieren. Den Botschaftern der EU-Länder habe ich bereits mitgeteilt, dass ich die europäischen Hauptstädte besuchen möchte, um unsere Vorstellungen in konkreter Form zu erläutern. Natürlich auch Berlin.
Was erwarten Sie von Deutschland?
Deutschland ist ein wichtiges EU-Mitglied. Drei Millionen Türken leben heute in Deutschland. Nicht zuletzt deshalb erwarten wir von Berlin eine aktive Unterstützung für unser Beitrittsvorhaben. Die Deutschen wissen besser als jedes andere Volk, was die Türken leisten können, eben weil sie drei Millionen Mitbürger von uns unter sich haben.
Sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen und Deutschlands Christdemokraten?
Wir sind konservative Demokraten, die Begriffen wie Familie, Tradition, Moral einen großen Stellenwert einräumen. Insofern können verschiedene Ideen von uns und den Christdemokraten vergleichbar sein.
Wir stehen Sie zu einem möglichen US-Krieg gegen Irak?
Alle Länder, die Türkei natürlich auch, haben sich nach den UN-Resolutionen zu richten. Widersetzen sich die USA den UN-Beschlüssen, so würde eine solche Haltung das Ansehen der USA beeinträchtigen.
Konkret bitte: Wären Sie im Erstfall für oder gegen ein einseitiges militärisches Vorgehen der USA gegen Irak?
Die Türkei hat beim Golfkrieg 1991 einen hohen Preis bezahlt. Weder wir noch unser Volk möchten ein zweites Mal mit einer ähnlichen Situation konfrontiert werden. Unser Volk - und übrigens das amerikanische auch - werden eine solche Haltung nicht unterstützen. Daher müssen wir uns nach den UN-Resolutionen richten.
Sie haben die Wahl gewonnen, aber Premier dürfen Sie nicht werden. Wann steht der Name des Regierungschefs fest?
Machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden dieses Problem in wenigen Tagen lösen.
Kann in der weltlich ausgerichteten Türkei jemand Premier werden, dessen Frau Kopftuch trägt, wie die Ihres Stellvertreters Gül?
Wieso nicht? Es gibt doch Beispiele von Führungspersönlichkeiten in der Welt, deren Ehefrauen ein Kopftuch tragen. Auch ich habe früher als Bürgermeister von Istanbul an öffentlichen Veranstaltungen teilgenommen - mit meiner Kopftuch tragenden Ehefrau an meiner Seite.