Berlin - Am Schluss wird Gregor Gysi nostalgisch: «Ich möchte ihnen alles Gute wünschen. Ich gehe davon aus, dass ich die meisten von Ihnen nicht wieder sehe.» Das sagt einer, der abgschlossen hat. Zwar will der zurückgetretene Berliner Wirtschaftssenator seiner PDS zu Liebe noch die vereinbarten Wahlkampftermine wahrnehmen. Ein neues Comeback des 54-Jährigen ist jedoch schwer vorstellbar. Irgendwann während seines einstündigen Redeflusses im Saal der Bundespressekonferenz flüstert der bisher beliebteste Politiker Berlins wie nebenbei sein Geständnis: «Ich denke, das ist jetzt vorbei.»
Zwei Tage hatte sich Gysi seit seiner Rücktrittserklärung verkrochen. Der Weg vor die Augen der Öffentlichkeit fiel dem Medienstar diesmal sichtbar schwer. Als um 10.55 Uhr seine Limousine vorfährt, bleibt Gysi noch einige Minuten im Fond sitzen, sortierte zerknitterte Zettel. Wieder hemmt der leidige Papierkram den Rhetoriker.
Mit verkniffenem Lächeln und aufgelockert durch sarkastische Witze versucht der in hellem Sommeranzug erschienene Gysi, seine einsame Rücktrittsentscheidung zu rechtfertigen. Sein ganz persönliches Image sei durch die Bonus-Meilen-Affäre beschädigt. Er wolle jedoch für niemanden einen moralischen Standard setzen. Aber wie hätte er noch vor seine Wähler in Marzahn-Hellersdorf treten können? «Ich ärgere mich schwarz über meinen Fehler», versichert Gysi.
Er sei nicht amtsmüde gewesen, schwört Gysi, im Gegenteil. Die Arbeit an konkreten Projekten habe ihm sogar Spaß gemacht. Nach langen Jahren folgenloser Mühen in der Opposition konnte Gysi erstmals wirklich etwas bewegen. Wie der Versuch eines Arbeitsnachweises klingt die Ankündigung, demnächst werde ein großes internationales Unternehmen eine große Investition in Berlin bekannt geben.
War es nicht doch die drohende Veröffentlichung seiner Stasi-Akte? «Dummes Zeug», sagt Gysi. «Ich habe das seit 1991 durchgestanden.» Als er Senator wurde, habe er doch genau gewusst, dass diese Überprüfung auf ihn zukommt.
Die Stasi-Vorwürfe habe er ausgessen, «weil ich sie für unberechtigt und falsch halte». Diesmal liege die Sache anders. «Ich habe mir etwas vorzuwerfen.»
Der Fehler mit den Bonus-Meilen hätte ihn persönlich so gehemmt, dass er seine Verantwortung als Senator nicht mehr hätte wahrnehmen können, sagt Gysi und ahnt wohl, dass ihn kaum jemand versteht. Sein SPD-Koalitionspartner Peter Strieder nicht, der ihn sogar als unpolitisch und egoistisch beschimpfte. Und seine Parteifreunde nicht, die ihn umstimmen wollten und nun sauer auf ihn sind. Nur er allein könne wissen, was die Geschichte für ihn bedeute, beteuert er immer wieder.
Ist er übergschnappt, wie manche in der Partei es mutmaßen? «Man weiß nie, welcher Grad von Verwirrtheit wo zuschlägt», sagt Gysi und lässt den selbstironischen Humor aufblitzen, der ihn selbst bei politisch Andersdenkenden so beliebt gemacht hat. Vielleicht hatte er Angst, als entlarvter Profiteur von Privilegien gerade diese Fähigkeit zu verlieren. Zuweilen versinkt Gregor Gysi wie ein müder Senior in der Vergangenheit. «War ich zehn Jahre oder zwölf Jahre Fraktionsvorsitzender? Mein Gott wie die Zeit vergeht.»
Aber dann ist der «politische Mensch» Gysi wieder hellwach. Die SPD/PDS-Koalition in Berlin sieht er durch seinen auch egoistischen Schritt nicht gefährdet. «Die Koalition lebt auch von den Schwächen der Alternativen.»
Den so angesprochenen Vertretern der schwarzen, gelben und grünen Alternativen schiebt Gysi einen ganz eigenen Beitrag zum Rücktritt des Senators und Bürgermeisters in die Schuhe: «Wenn die Opposition meinen Rücktritt gefordert hätte, hätte ich das wahrscheinlich nicht gemacht.» Soll heißen, Abschiedsgala und Krise des Senats wäre ausgefallen, wenn irgendein CDU- oder FDP-Politiker eine Rücktrittsforderung an die Redaktionen gefaxt hätte.