Noch am Morgen telefonierte Wladimir Putin mit Kanzler Gerhard Schröder, gestern Nachmittag dann empfing Russlands Präsident im Kreml Edmund Stoiber.
Moskau - Das Empfangsritual im grünen Repräsentationssaal des russischen Präsidenten mit den vier überlebensgroßen Figuren der Zaren Peter, Katharina, Alexander II. und Nikolaus II. im Kreml war protokollarisch exakt das gleiche wie letztes Jahr, als Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber mit seiner Delegation vom Kreml-Chef begrüßt wurde. Den kleinen Unterschied, dass Stoiber diesmal auch als Kanzlerkandidat der Union angereist war, markierte Wladimir Putin mit der bewusst deutlicheren Betonung des Protokolls und der einleitenden Bemerkung: «Die russische Führung pflegt auch reguläre Kontakte zur deutschen Opposition, und dies wird auch vom derzeitigen Bundeskanzler Gerhard Schröder unterstützt, mit dem ich am Vormittag telefoniert habe.» Wer jedoch wen angerufen hat, blieb offen. Die Bundestagswahl und die Kanzlerkandidatur waren nach Angaben von Stoiber nicht Gegenstand des Gesprächs mit Putin. Dieser sagte aber zum Abschied: «Wir sehen uns wieder.»
Zuvor hatten Stoiber und Michael Glos, der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, der für den erkrankten CDU-Politiker Wolfgang Schäuble nachgereist war, bereits ein Gespräch mit dem russischen Außenminister Igor Iwanow über die russische Einschätzung der weltpolitischen Krisenherde. Im Anschluss daran gab es - mit dessen Unterstützung - noch ein längeres telefonisches Gerangel mit dem neuen Protokollchef des Kreml um die weltbewegende Frage, ob denn - wie ursprünglich vereinbart - alle 22 angemeldeten deutschen Journalisten das Begrüßungsritual im grünen Saal miterleben durften oder nur neun, wie das Protokoll es für Besucher vom Rang eines deutschen Ministerpräsidenten vorsieht.
Die Politik siegte schließlich doch über die Bürokratie des Protokolls. So konnte Präsident Putin einem großen Teil der deutschen Medien seine Bitte vortragen, den Bürgern der Stadt Überlingen und der Region am Bodensee, sowie den deutschen Behörden und der Öffentlichkeit im Namen der Angehörigen aller Opfer der Flugzeugkollision herzlichen Dank zu übermitteln für die große Anteilnahme und unbürokratische Hilfe.
Bereits bei seinem sehr herzlich gehaltenen Empfang durch Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow hatte Stoiber im Moskauer Rathaus gesagt: «Die deutschen Beziehungen zu Russland waren noch nie so gut wie in den letzten zehn Jahren. Dies ist ein Glücksfall für unsere beiden Länder und für Europa.»
Auch gegenüber Putin betonte Stoiber, dass ein Regierungswechsel in Deutschland im Beziehungsgeflecht mit Russland keine Änderungen ergeben würde. Allenfalls zeichnen sich Unterschiede darin ab, dass es Stoiber nicht nur auf atmosphärische Freundschaftsbekundungen ankommt, sondern er im Falle seines Wahlsieges im Rahmen des Kooperationsvertrages der EU auch der bilateralen Zusammenarbeit mit Russland auf verschiedenen Feldern der Politik, Wirtschaft und Kultur mehr Dynamik verleihen möchte.
Dass Putin seinerseits die Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Deutschland für wünschenswert hält, wurde indirekt deutlich, weil er gleich zu Beginn, noch während der Anwesenheit der deutschen und russischen Medienvertreter, präzise auf die ungleich besseren Beziehungen zu Bayern hinwies: «Allein 50 Prozent der deutschen Investitionen in Russland kommen aus Bayern. Das Handelsvolumen zwischen Russland und Bayern ist um 37 Prozent gewachsen und größer als das zwischen Russland und Frankreich.»
Putin wählte offenbar auch mit Bedacht den Kanzlerkandidaten Stoiber als Boten einer wichtigen Nachricht für die deutschen und europäischen Medien: Die russische Regierung hat dem Kauf von 18 Airbussen vom Typ A 320 zum Preis von mehr als 600 Millionen Euro zugestimmt - trotz heftiger Bemühungen des amerikanischen Konkurrenten Boeing.