Doktor Schröder rügt die Zensur in China

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Johnny Erling und Peter Dausend

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat bei seinem China-Besuch die Bedeutung der Menschenrechte und des freien Informationsaustausches betont. Das Staatswesen müsse die Rechte des Einzelnen wahren und schützen.

Peking/Schanghai - Der Bundeskanzler erschien in ungewöhnlichem Aufzug. Mit schwarzer Kappe und in rot-schwarzem Talar versank Schröder in seinem Ledersessel auf der Bühne der Aula in der Schanghaier Tongji-Universität. Die ebenso gekleidete 55-jährige Universitätspräsidentin Wu Qidi, eine der bekanntesten Wissenschaftspolitikerin Chinas, pries derweil das «deutsche Bildungsmodell» an ihrer Hochschule. Als Wu, die einst in der Schweiz forschte und perfekt Deutsch spricht, dann den Kanzler ans Rednerpult bat, zuckte der zusammen. Sie hatte ihn Herr Dr. h. c. Schröder gerufen.

Im Festsaal der 1907 von dem deutschen Arzt Erich Paulun als «Deutsche Medizinschule für Chinesen» gegründeten Universität wich der zum Ehrendoktor gekürte Kanzler vor 500 Studenten vom Redetext ab. Er gestand, dass ihm der verliehene Titel noch fremd in den Ohren klingt. «Ich muss mich erst daran gewöhnen.» Es ist die erste derartige Ehrung für Schröder.

Deutsche sind in der Tongji, die heute eine der Kernuniversitäten der hochschulpolitischen Zusammenarbeit ist, wohlgelittene Gäste. Der frisch gebackene Doktor Schröder konnte sich in seiner Dankesrede offene Kritik an Chinas Zensur erlauben: «Ein freies Internet fördert die Wissenschaft eines jeden Landes.»

In der weltoffenen Universität fällt eine solche Mahnung auf fruchtbaren Boden. Schließlich haben mehr als ein Drittel der 2850 Dozenten und Lehrer für die 44 000 Studenten in Deutschland studiert oder promoviert. Mit 13 deutschen Universitäten bestehen Partnerschaften. 1998 wurde in der Tongji das Chinesisch-Deutsche Hochschulkolleg eröffnet und in Anwesenheit Schröders um fünf Jahre bis 2008 verlängert. Das ingenieur- und betriebswissenschaftliche Kolleg, in dem Vorlesungen in chinesischer und deutscher Sprache angeboten werden, ist ein einzigartiges Experiment.

Als Ehrendoktor musste Schröder aber den Studenten Rede und Antwort stehen. Sie fragten ihn in bestem Deutsch nach dem Teuro oder nach der Expo 2000 in Hannover. Ob der Anwalt Schröder nicht das nächste Mal als Jurist kommen und an der Tongji eine Vorlesung halten könne. Schröder zeigte mehr Interesse, in fünf Jahren zum 100. Gründungstag der Tongji die Universität wieder zu besuchen «und dann möglichst noch in meinem jetzigen Amt». Als die wissbegierigen Studenten von ihm das Erfolgsrezept für seine Wiederwahl wissen wollten, verriet ihnen Doktor honoris causa Gerhard Schröder: «Es ist besser, eine Wahl schlecht zu gewinnen, als gut zu verlieren.»

Am zweiten Tag seiner China-Reise führte der Bundeskanzler gestern Gespräche mit dem scheidenden Staatschef Jiang Zemin und dessen vermutlichen Nachfolger Hu Jintao. Die chinesische Führung hat dabei angeboten, im Streit zwischen USA und Nordkorea um Pjöngjangs Nuklearprogramm zu vermitteln, verlautete aus deutschen Regierungskreisen. Mit dieser Ankündigung reagierte Peking offenbar auf Bitten Südkoreas, seinen Einfluss auf den kommunistischen Norden wahrzunehmen, um die Krise zu entschärfen. Nordkorea hat gestern damit gedroht, den Atomwaffensperrvertrag zu kündigen.

Hu wird Jiang im März kommenden Jahres an der Spitze des Staates nachfolgen. Der scheidende Staatspräsident habe seine «große persönliche Wertschätzung» der Beziehungen Chinas zu Deutschland deutlich gemacht und unter anderem auf sein Deutsch-Studium verwiesen. Die intensiven Beziehungen beider Länder weiterzuentwickeln, habe er als sein «Vermächtnis» bezeichnet. Hu sei ein Garant für Kontinuität der Entwicklung in China sowie der deutsch-chinesischen Freundschaft.

Heute will Schröder mit seinem chinesischen Amtskollegen Zhu Rongji eine Probefahrt mit der deutschen Magnetschwebebahn Transrapid von Schanghai zum 30 Kilometer entfernten Flughafen der Millionenstadt unternehmen.