Er ruckelt in Berlin

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Björn Hartmann

Gute Nachrichten aus der Wirtschaft sind in Berlin dieses Jahr rar. Auch die Morgenpost meldete eher das Ende von Traditionsunternehmen als nennenswerte Neuansiedlungen. Nestlé schließt sein Berliner Werk, Elsnerdruck wendet sich nach Thüringen, Spreequell sucht sein Glück in Brandenburg, der japanische Unterhaltungselektronikkonzern Sony überlegt, seine Europazentrale zu verlegen. Mit Berlins Wirtschaft, so ist unschwer zu erkennen, steht es nicht gerade zum Besten.

Und nun das: Erst befindet Coca-Cola, der weltgrößte Brausehersteller, nur von Berlin aus könne er sein Deutschlandgeschäft richtig führen. 300 Beschäftigte wechseln von Essen in die Hauptstadt. VW siedelt eine neue Tochter in Berlin an, und jetzt zieht es auch noch den Musiksender MTV mit 110 Mitarbeitern an die Spree. Kommt die Wende zum Besseren?

Wohl nicht. Denn MTV ist keine Neuansiedlung. Das Unternehmen sendete noch vor zwei Jahren aus Berlin, bis die damals neue Senderchefin Christiane zu Salm in München mehr kreatives Potenzial (und zumindest für Führungspersonal bessere Lebensumstände) entdeckte als in Berlin. Offenbar traute sie ihrer eigenen Nase nicht, denn große Teile des MTV-Programms kamen trotz des Umzugs der Zentrale weiter aus Kreuzberg. Die Chefin ist nun nicht mehr, und die neue Führungsetage stößt auf der Suche nach neuen Ideen plötzlich wieder auf das wilde Berlin. Die Rückkehrer beweisen allerdings, wie wichtig die Stadt für die Musikindustrie geworden ist.

Seit der größte Musikkonzern Deutschlands, Universal Music, sein Domizil in Friedrichshain bezogen hat, residieren drei der fünf größten Branchenfirmen in der Stadt. Zahlreiche Kleinlabel kümmern sich um den chaotisch schrägen Nachwuchs, mit dem sich sogar Geld verdienen lässt, wie etwa das kleine alternative Musikunternehmen Kitty Yo zeigt. Der Verband der deutschen phonographischen Industrie zieht folgerichtig von Hamburg nach Berlin - allerdings nicht wegen des kreativen Potenzials, sondern wegen der Nähe zur Bundesregierung. Für das Image Berlins sind die Musikfirmen sehr wichtig, doch den Arbeitsmarkt entlasten sie praktisch nicht. Denn in Industrie und Handwerk gehen immer noch wesentlich mehr Stellen verloren. Abgesehen davon wird ein türkischer Schweißer der Krupp Stahlbau Berlin kaum in der Kreativabteilung von Sony Music oder BMG anfangen können. Zudem kämpft die Musikindustrie mit der größten Krise ihrer Geschichte.

Wirklich gute Nachrichten liefert ausnahmsweise der Berliner Senat. Er will die Wirtschaftsförderung modernisieren und das Kompetenzgerangel zwischen den einzelnen Behörden endlich beenden. Künftig haben die Ansiedlungsspezialisten der Wirtschaftsverwaltung das letzte Wort. Das lässt hoffen.