Berlin - Das Krisengespräch mit der Gesundheitsministerin dauerte eineinhalb Stunden und damit sogar 30 Minuten länger als geplant. Aber die Atmosphäre war «frostig», wie Kassenärzte-Chef Manfred Richter-Reichhelm hinterher unumwunden zugab. Es war eben genau so, wie es ist, wenn zwei eine diametral entgegengesetzte Position vertreten, aber zu einer gemeinsamen Lösung kommen müssen. Aber beide, Ulla Schmidt und Richter-Reichhelm, wissen auch: Bleibt es bei der derzeitigen Eskalation zwischen Politik und Ärzteschaft, wird es nur Verlierer geben, vor allem die Patienten.
Gebracht hat der Krisengipfel gestern Nachmittag im eiskalten Berlin wenig, auch wenn, so Schmidt, einiges an Missverständnissen ausgeräumt worden sei. Es kam nur zu einer Schein-Entspannung: Die Ärzte wollen sparsamer verschreiben, die Ministerin sie dafür in ihre Pläne für die große Gesundheitsreform 2004 einbeziehen. Aber Ulla Schmidt hält an ihrem Ärzte-Honorarstopp für 2003 fest, Richter-Reichhelm an seinem Konfrontationskurs.
Das Gespräch ist symbolhaft für die Situation im deutschen Gesundheitswesen. Hier ist alles festgefahren, hier streitet jeder mit jedem, vielen ist die Lust auf ihren Beruf vergangen: unter Ärzten und Apothekern, bei den Kassen, in der Pharmaindustrie und beim chronisch überlasteten Krankenhauspersonal ist Ulla Schmidt zur Buhfrau des Gesundheitswesens geworden.
Die lebenslustige, aber auch zielstrebige und schlagfertige Rheinländerin war Anfang 2001 als Nachfolgerin der am BSE-Skandal gescheiterten Grünen Andrea Fischer ins Kabinett gekommen. Sie arbeitete sich in die undurchschaubare Gesundheitsmaterie ein, befreite die Ärzte bei Arzneien von Budgetfesseln und sammelte mit Programmen für chronisch Kranke und der Umsetzung einer neuen Krankenhausfinanzierung Pluspunkte. Lohn: Ulla Schmidt durfte nach der Bundestagswahl auch noch Riesters Sozialministerium beerben.
Die Stimmung war jedoch schon zuvor umgeschlagen. Zum einen hatte die Ärzteschaft bei den Chronikerprogrammen, in denen sie eine Eingrenzung ihrer Selbständigkeit sehen, jede Zusammenarbeit mit der Regierung verweigert. Die Ministerin war ihrerseits Opfer ihres Versprechens geworden, die Kassenbeiträge würden 2003 stabil bleiben. Als das unhaltbar war, versuchte sie, mit einem Drei-Milliarden-Euro-Sparpaket gegenzusteuern - zum Preis, praktisch alle Beteiligten gegen sich aufzubringen, voran die Ärzte, für Ulla Schmidt die Hauptkostenverursacher.
Seither will sie deren Einnahmen und Einfluss beschränken - per Honorarstopp und durch stärkere Einflussnahme der Kassen bei Vertragsverhandlungen mit den Ärzten.
Richter-Reichhelms Antwort ist ein Dreistufenplan, beginnend mit einer bundesweiten «Fragebogen-Aktion» ab Januar. Patienten sollen dann vor der Behandlung ankreuzen, ob sie «für die Beibehaltung der freien Arztwahl» oder «für den Weg in die Staatsmedizin» sind, in der - nach Ärztedarstellung - Politiker und Kassen bestimmen, wer wann zu welchem Arzt gehen darf. Schmidt hat Richter-Reichhelm klargemacht, dass sie das für ungesetzlich hält. Er bot ihr daraufhin geschickt an, sie könne den Fragebogen vorher einsehen, aber: «Die Umfrage kommt.»
Da diese aber, das weiß auch der oberste Kassenarzt, politisch nicht viel bringen wird, soll im Frühjahr die nächste Stufe folgen: «Dienst nach Vorschrift». Praxen sollen schließen, wenn das bereitgestellte Honorar verbraucht ist, behandelt werden nur noch Notfälle, «Normalpatienten» werden aufs jeweils nächste Quartal vertröstet, wenn wieder Geld im Honorartopf ist. Damit komme man doch dem Wunsch der Politik entgegen, die Behandlungskosten zu senken, umsäuselte Richter-Reichhelm die Ministerin. Diese ließ sich nicht beeindrucken und forderte gestern die Versicherten vorsorglich auf, um solche Praxen auf immer einen großen Bogen zu machen.
Für Herbst soll notfalls die dritte Stufe zünden: Rückgabe der Kassenzulassung. Abgerechnet würde dann mit jedem Patienten in bar, der Versicherte kann sich das Geld von seiner Kasse zurückholen - so, wie es heute für Privatpatienten üblich ist. Das wäre das Ende des bestehenden Gesundheitssystems.
Mitten im Krach mit den Ärzten hat die Ministerin den Unmut der Grünen auf sich gezogen. Diese sind verärgert über ihren Versuch, ein innovatives Bonusmodell der Techniker Krankenkasse zu verbieten. Dies sei die «falsche Reaktion», sagte die grüne Gesundheitsexpertin Biggi Bender. Es handele sich schließlich um einen Modellversuch. «Solche Experimente anzuschauen statt sie zu verbieten, würde einer reformbereiten Ministerin gut anstehen.»