Die Bundeswehr steht offenbar vom nächsten Jahr an vor tieferen Einschnitten und Kürzungen als bisher bekannt. Das geht aus den Kürzungsplänen der Regierung hervor. Gleichzeitig stimmte der Bundestag gestern einer Verlängerung des Mazedonien-Einsatzes zu.
Berlin - Er wolle die Bundeswehr-Reform nicht ändern, sondern nur «nachjustieren und fortentwickeln», versicherte gestern Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) in Berlin. Es droht aber die Auflösung mehrerer fliegender Verbände sowie die Ausmusterung von Schiffen. Nachdem Struck am Vortag im Parlament Reduzierungen bei Beschaffungen des Militärtransporters Airbus und bei der Eurofighter-Bewaffnung mitgeteilt hatte, kündigte er gestern eine weitere Verschlankung der Organisationsstruktur der Streitkräfte an. So seien die Mobilmachungsvorbereitungen nicht mehr nötig.
Die Landesverteidigung stehe nicht mehr an erster Stelle, sagte der Minister. Das Szenario der Verteidigung der Bundesrepublik an den Grenzen oder gegen einen Luftangriff sei nicht mehr realistisch. Vielmehr würden internationale Einsätze und die Bekämpfung des Terrorismus in den Vordergrund rücken.
In Berlin wird damit gerechnet, dass nach der Vorlage der neuen «Verteidigungspolitischen Richtlinien» im Frühjahr eine Veränderung der Bundeswehr-Reform erfolgen wird. Struck selbst deutete bereits mehrere Reduzierungsmöglichkeiten an. Altes und zu teures Material solle so schnell wie möglich ausgemustert werden. Dazu gehört eine Verringerung der Hubschrauberflotte. Der Bedarf werde künftig insgesamt geprüft und nicht mehr einzeln für jede Teilstreitkraft. Das dürfte dazu führen, dass die 205 betagten Kurzstreckenhubschrauber UH-1D zum Teil ausgemustert werden.
Außerdem will Struck die bodengestützte Luftverteidigung auf das Patriot-System konzentrieren, was wohl die Ausmusterung der Hawk- und Roland-Systeme zur Folge hätte. Das Heer soll gepanzerte Fahrzeuge schneller als geplant stilllegen, und auch die Marine soll auf Schiffe verzichten, nicht aber auf geplante oder im Bau befindliche. Struck sagte, bei der Marine müssten zeitlich begrenzte Fähigkeitslücken in Kauf genommen werden. Das Heer soll sich auf internationale Einsätze konzentrieren.
Struck betonte, er sei an einem Erhalt der deutschen wehrtechnischen Industrie interessiert. Er wolle nicht von ausländischen Unternehmen abhängig werden. Die Internationalisierung der wehrtechnischen Industrie schreitet aber voran. Nach dem Einstieg amerikanischer Investoren bei der HDW-Werft dürfte demnächst eine US-Beteiligung an der Panzerschmiede Krauss-Maffei bevorstehen.
Die vorzeitige Ausmusterung alten Geräts geht auf Strucks Forderung zurück, die Betriebskosten zu senken. Denn trotz eines in Höhe von 24,4 Milliarden bis 2006 verstetigten Etats bestehen massive Finanzprobleme. Struck sagte, die Erlöse bei Veräußerungen und Effizienzsteigerungen würden sich nicht so entwickeln wie erwartet. Zwecks besserer Zusammenarbeit mit der Industrie präsentierte Struck den früheren Industriemanager Werner Engelhardt als neuen Berater mit symbolischem Gehalt von einem Euro. Engelhardt, der früher Aufsichtsratsvorsitzender von Rheinmetall war, kennt die Branche in- und auswendig.
Die CDU/CSU-Opposition bezeichnete Strucks Streichliste als «weitere Diät für den Hungerleider Bundeswehr». Bayerns Wirtschaftsminister Otto Wiesheu sprach von einem Schlag gegen die wehrtechnische Industrie.
Einmütigkeit gab es dagegen gestern im Bundestag bei der Abstimmung zum Mazedonieneinsatz der Bundeswehr. Diese wird sich für weitere sechs Monate an der militärischen Absicherung der demokratischen Entwicklung Mazedoniens beteiligen. Für die Verlängerung des Nato-geführten Einsatzes bis zum 15. Juni 2003 votierten in namentlicher Abstimmung 577 von 585 Abgeordneten. Sechs Abgeordnete stimmten dagegen, zwei enthielten sich. In der Debatte bezeichneten Redner aller Fraktionen den bisherigen Einsatz übereinstimmend als Erfolgsgeschichte.
Der deutsche Anteil an der bisherigen Mission «Amber Fox» wird in der Folgemission «Allied Harmony» von 200 auf 70 Bundeswehrsoldaten reduziert.