Grünen-Chef Kuhn: «Jeder ist ersetzbar»

| Lesedauer: 7 Minuten
Stephan Haselberger

Berlin - Grünen-Chef Fritz Kuhn wird von vielen in seiner Partei respektiert, aber von wenigen geliebt. Das könnte ihn morgen das Amt kosten. In Hannover entscheidet ein Parteitag über das Dogma der Trennung von Amt und Mandat - und damit über die berufliche Zukunft ihrer Doppelspitze Claudia Roth/Fritz Kuhn.

Herr Kuhn, halten Sie sich für unersetzlich?

Fritz Kuhn: In der Politik ist jeder ersetzbar. Die Frage ist nur, um welchen Preis.

Gibt es niemanden, der die Grünen so gut führen könnte wie Sie?

Das müssen Sie die Partei fragen. Claudia Roth und ich machen nur ein Angebot. Von uns weiß man, dass und wie wir die Grünen führen können. Die Partei ist seit meinem Amtsantritt im Jahr 2000 stärker und handlungsfähiger geworden, sie hat mit dem Bundesvorstand und dem Parteirat ein strategiefähiges Zentrum erhalten.

Haben Sie keinen Notfallplan vorbereitet, um der Partei die Fortsetzung der Führungskrise zu ersparen?

Wir alle machen uns natürlich Gedanken. Es gibt derzeit aber niemanden, der sagt, dass er oder sie kandidieren will. Das ist die Lage, von der wir ausgehen müssen.

Was würde es für Sie bedeuten, wenn Sie nicht mehr antreten dürften?

Na ja. Schön wäre das nicht. Wenn man sich zwei Jahre so reingehängt hat, will man nicht einfach mitten in der Arbeit aufhören. Aber ich würde ein solches Ergebnis natürlich respektieren und als Bundestagsabgeordneter inhaltliche Arbeit für die Grünen machen.

Haben Sie sich von Ihrer Partei in den letzten Wochen oft ungerecht behandelt gefühlt?

Eine Zeit lang gab es die Tendenz, mich zum Sündenbock zu machen. Motto: Für Erfolge sind alle verantwortlich, für Misserfolge nur Kuhn. Das hat mich geärgert und auch getroffen.

Warum begegnet die Partei dem erfolgreichen Vorsitzenden mit so wenig Wohlwollen?

Es gibt immer Politiker, die geachtet und geschätzt werden, die aber die Emotionen der Partei nicht so gut erreichen wie andere. Ich habe die Partei seit 2000 konsequent handlungsfähiger gemacht. Dafür musste ich manchmal dafür sorgen, dass die Grünen mit einer Stimme sprechen. Das hat den einen oder die andere verärgert. Manche habe ich auch vor den Kopf gestoßen. Es hat uns insgesamt aber gut getan. Eine Partei zu führen ist schließlich kein Beliebtheitswettbewerb.

Claudia Roth ist in der Partei sehr beliebt.

Das kann ich gut nachvollziehen. Claudia ist wesentlich emotionaler, ich wirke viel rationaler. Das sind natürlich auch ein Stück weit Stilisierungen der Medien. Aber die Partei weiß genau, dass in dieser Mischung das Erfolgsrezept der integrativen Doppelspitze liegt.

Wird Ihnen auch misstraut, weil viele Sie für den Erfüllungsgehilfen des heimlichen Parteichefs Joschka Fischer halten?

Dem ist nicht so. Es gibt keinen heimlichen Vorsitzenden. Ich bin der Bundesvorsitzende der Grünen und nicht der von Joschka Fischer. Wir haben Fischer seit dem Jahr 2000 gut in die Partei eingebunden, deren Handlungen vom Parteirat gesteuert werden - und nicht von einem informellen Zirkel um Fischer und Kuhn.

Besteht Ihr Problem vielleicht darin, dass Sie von der Partei als kalt, unnahbar und berechnend wahrgenommen werden?

Ich habe überhaupt kein Problem, mir geht's gut. Richtig ist: Ich bin ein Typ, der seine Emotionen nicht gerne zur Schau stellt. Dass ich berechnend bin, stimmt nur insofern, als dass ich die Wege der Partei gerne ausrechne. Dazu stehe ich. Die Partei muss so geführt werden, dass sie ihre Ziele auch erreichen kann. Ich bin sicher: Der Parteitag wird morgen so entscheiden, dass wir in der Koalition weiter erfolgreich als Reformmotor agieren können.

Manche Grüne trauen Ihnen zu, nach dem Fraktionsvorsitz zu greifen, wenn Sie nicht länger Parteichef bleiben können.

Das ist Unsinn. Unsere neue Fraktionsspitze macht einen guten Job. Wenn ich nicht mehr als Parteichef kandidieren kann, werde ich einfaches Fraktionsmitglied. Im Übrigen muss ich sagen: Im Vergleich zu den Problemen, die das Land hat, sind die innerparteilichen Probleme der Grünen letztlich gering.

Was muss die SPD besser machen, damit die Koalition hält?

Es darf sich nicht der Eindruck festsetzen, dass Rot-Grün auf der Stelle tritt und die Krise nur verwaltet. Wir haben in den ersten Wochen zu viel über einzelne Sparmaßnahmen diskutiert und die Ziele unserer Politik für die nächsten vier Jahre zu wenig erklärt. Die Koalition muss der Bevölkerung klar sagen, dass die wirtschaftliche Lage katastrophal ist und die nächsten Jahre für alle hart werden. Die Koalition muss erklären, dass sie mit dem Sparpaket deshalb zunächst lediglich ein Notprogramm durchführt. Und sie muss sich eindeutig zu grundlegenden Reformen der sozialen Sicherungssysteme, der Gemeindefinanzen und der Bundeswehr bekennen.

Ist das mit einer reformunwilligen SPD zu machen?

Der Kanzler hat vorgestern im Bundestag ein klares Zeichen für Reformen gesetzt. Ich habe keinen Zweifel, dass diese Regierung auf Reformkurs liegt.

Die SPD zeigt sich vom grünen Reformeifer genervt. Schröder wirft Ihnen schon Profilierungssucht vor. Ist in der Koalition ein Entfremdungsprozess im Gang?

Nein. Wir wollen uns profilieren. Aber nicht zu Lasten der SPD. Wenn Parteien keine Reformwerkstätten sind, dann erledigen sie einen wichtigen Teil ihrer Aufgaben nicht. Jede Partei ist dazu aufgefordert, ihre Werkstatt am Laufen zu halten. Unsere läuft. Das sehen auch die Wähler so, deshalb stehen die Grünen in den Umfragen bei elf Prozent.

Kippt Rot-Grün im Bund, wenn die CDU in Hessen und Niedersachsen gewinnt?

Die CDU wird nicht gewinnen. Die Regierung in Berlin ist für vier Jahre gewählt, und sie wird mindestens vier Jahre regieren. Die CDU hat bislang keinerlei Alternativen präsentiert. Sie gefällt sich in fundamentaler Blockade. Deswegen wird ihr Kalkül nicht aufgehen.

Ihr Minister Trittin warnt bereits vor einer großen Koalition, falls Niedersachsen an die Union geht.

Ich halte nichts von Katastrophenszenarien. Die Bundesregierung muss jetzt Tritt fassen, was die Darstellung ihrer Politik betrifft. Dann klappt es auch mit Rot-Grün in Niedersachsen.