Der irakische Diktator Saddam Hussein soll umfangreiche Maßnahmen ergriffen haben, um die UN-Waffeninspektoren über seine Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen zu täuschen. Darüber berichtet der britische Geheimdienst.
London - Berater in der Downing Street gaben ihrerseits diese Nachricht an zwei Londoner Tageszeitungen unterschiedlicher Couleur weiter, an die «Times» (konservativ) und den «Independent» (liberal), die gestern ausführlich über dies Dossier berichteten. Demnach sind Hunderte von irakischen Wissenschaftlern, Verwaltungsbeamten, Mitgliedern der regierenden Baath-Partei und Technikern von Saddam in die Pflicht genommen worden, diverse Komponenten zur Herstellung von chemischen und bakteriologischen Waffen sowie die dazu gehörenden Dokumente, inklusive Computer und Laptops, in ihre Häuser zu bringen und dort zu verstecken.
Allen Beteiligten wurden schwerste Strafen angedroht für den Fall, dass auch nur ein Stück dieser Materialien verschwinden oder gar in die Hände der Waffeninspektoren fallen würde - die durchkämmen derzeit Irak nach Indizien für die Produktion verbotener Massenvernichtungswaffen. Auch landwirtschaftliche Betriebe wurden offenbar gezwungen, sich an Saddams Täuschungsmanöver zu beteiligen, etwa durch Aufnahme von Fässern mit waffenfähigen Chemikalien unter ihre Bestände an Pestiziden.
US-Präsident George W. Bush und der britische Premierminister Tony Blair sind angeblich so besorgt über das Ausmaß der Vorgänge, dass sie erwägen, sich öffentlich an die betroffenen Personen zu wenden. Die Uno-Resolution 1441 hat bekanntlich Irak nicht nur zur Auflage gemacht, bis zum 8. Dezember eine lückenlose Dokumentation seiner Waffenbestände und Produktionsstätten vorzulegen; jeder Iraker ist verpflichtet, über alles, was er weiß, Auskunft zu erteilen. Wo dies mit zu großen persönlichen Risiken verbunden ist, sieht die Resolution vor, dass die Betroffenen zu gefahrloseren Verhören außer Landes gebracht werden können.
Die Geheimberichte über vermutete Täuschungsmaßnahmen Saddams setzen ein unübersehbares Fragezeichen hinter die Tauglichkeit der gegenwärtigen Mission der UN-Waffeninspektoren. Die Gruppe unter Führung des Schweden Hans Blix wird unmöglich in Tausenden von Privatwohnungen und -häusern nachforschen können, sollte sich der Verdacht auf ein großflächiges Manöver bestätigen, mit dem die Herstellung von Massenvernichtungswaffen verschleiert werden soll.
Die gezielte Indiskretion ist nicht die erste ihrer Art in der britischen Presse. Bereits am 14. November hatte der Londoner «Evening Standard» berichtet, dass Irak dabei sei, Komponenten zur Herstellung von B- und C-Waffen in das mit ihm befreundete Ausland zu bringen, namentlich nach Syrien, Libyen und Sudan. Der Bericht des «Evening Standard» berief sich auf einen «kürzlich in den Westen geflohenen Iraker» und dessen Aussagen.
Diesen zufolge lässt Saddam Hussein über die Bahnlinie zwischen der nordirakischen Stadt Mosul und dem syrischen Aleppo seit kurzem Nervengas vom Typ VX und Sarin außer Landes transportieren. Um seine Waffenfähigkeit im Bereich verbotener Systeme zu erhalten, operiere er zunehmend nach der Methode des «outsourcing»: Hochqualifizierte irakische Wissenschaftler werden nach Libyen und Sudan beordert, wo sie an «joint projects» teilnehmen, die zum Teil schon vor Jahren aufgebaut worden seien.