Prag - Nato-Generalsekretär George Robertson sprach von einem «Treffen des Wandels», einem «einschneidenden Ereignis für die Atlantische Allianz». Doch die Erweiterung war nur äußere Hülle dieses Wandels. Die Neuausrichtung der Nato wird orchestriert und gesteuert aus Washington. Mit ihrem Bündel von Forderungen an die europäischen Partner, vorgetragen mit Schärfe und ohne diplomatische Ummantelung, drängten die USA die Nato, die nach dem 11. September bereits totgesagt wurde, zurück auf den Pfad der politischen Relevanz.
Parallel zu der Anfrage des US-Außenministeriums an 50 verbündete Staaten um Unterstützung bei einem möglichen Krieg gegen Irak richtete Präsident George W. Bush gestern seine Aufforderung um Beistand an die Nato-Partner. Nach zähen Diskussionen verabschiedeten die 19 Nato-Oberen eine gemeinsame Stellungnahme. Die Allianz unterstreicht «ihre volle Unterstützung für die Umsetzung der UN-Resolution 1441». Die UN-Resolution sei «eine letzte Chance für den Irak». Bagdad müsse mit «schweren Konsequenzen rechnen, sollte es seine Verpflichtungen weiter verletzen».
Ohne Deutschland direkt anzusprechen, zeigte sich Bush irritiert über «freie Staaten», die nicht akzeptierten, dass es «gemeinsame Verpflichtungen zur Bewahrung des Friedens» gebe. Der US-Präsident erinnerte die Europäer an ihre historisch-moralischen Verpflichtungen: «Amerika ist mit Europa durch die Kriege für die Freiheit verbunden, die wir gemeinsam geführt und gewonnen haben.» Bush stellte klar, dass eine stärkere Präsenz der Nato auf den Krisenschauplätzen der Welt für das Überleben der Allianz als relevante politische Organisation ohne Alternative sei. Die Europäer würden «entweder globale Verantwortung übernehmen - oder sie werden eine Existenz in Isolation führen».
Ferner fasste die Nato einen Beschluss zur Bildung einer schnellen Eingreiftruppe (NRF). Sie soll sich aus rotierenden Truppenteilen vornehmlich europäischer Nato-Partner zusammensetzen, Interventions- und Anti-Terror-Einsätze auch außerhalb des Nato-Bündnisgebiets führen und eine Vorwarnzeit von fünf bis 30 Tagen haben.
Bundesverteidigungsminister Peter Struck erklärte, dass in seinem Etat für die Eingreiftruppe keine zusätzlichen Finanzen nötig seien. Andere Länder dagegen meldeten finanzielle Vorbehalte an. Jeder Einsatz der neuen Truppe muss im Nato-Rat einstimmig genehmigt werden. Der Nato-Militärausschuss soll bis Frühjahr 2003 die Details ausarbeiten. Damit die Eingreiftruppe wie geplant ab Herbst 2006 einsatzfähig ist, müssen die Europäer in der Allianz ihre militärischen Fähigkeiten modernisieren und ausbauen. Die europäischen Nato-Staaten geben zusammen 150 Milliarden Dollar für ihre Verteidigung aus, die USA 380 Milliarden. Die Staats- und Regierungschefs beschlossen eine Liste der zu verwirklichenden militärischen Fähigkeiten. Kernprojekte sind strategischer Lufttransport und Luftbetankung, Schutz der Truppen gegen Angriffe mit ABC-Waffen, Bewaffnung der Kampfjets mit lasergesteuerten Präzisionswaffen und eine abhörsichere Kommunikationstechnologie.