Willy Brandt: Ein Politiker, kein Säulenheiliger

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Gernot Facius

Bonn - Der Verlust des Kanzleramtes muss nicht das Ende aller Hoffnungen sein. Willy Brandt, der heute vor zehn Jahren gestorben ist und für den Bundespräsident Johannes Rau heute in Berlin eine große Gedenkrede halten wird, hat das vorexerziert. Als Chef der sozialliberalen Koalition von 1969 bis zu seinem durch die Spionageaffäre Guillaume ausgelösten Rücktritt im Mai 1974 war Brandt auch in den eigenen Reihen nicht unumstritten - als Ex-Kanzler, als Elderstatesman, bis 1987 noch Parteivorsitzender, mutierte er zu einer internationalen Leitfigur, zum «Übervater» der SPD, hoch angesehen auch bei politischen Gegnern.

Nach Umfragen aus dem Frühjahr 2002 gilt er 33 Prozent der Deutschen als politisches Vorbild. Damit liegt er vier Punkte vor Konrad Adenauer, Gerhard Schröder kam lediglich auf fünf Prozent.

Das Arbeiterkind aus Lübeck, der von seinen Gegnern geschmähte einstige Emigrant, der die SPD zu ihrem größten Nachkriegstriumph führte und als erster sozialdemokratischer Regierungschef der Bundesrepublik mit den Ostverträgen sein «Meisterstück» ablieferte, erschien vor allem ausländischen Beobachtern in erster Linie als Analytiker und Vordenker, erst dann kam der Politiker. Als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission und Präsident der Sozialistischen Internationale konnte Brandt, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, als großer «Versöhner» für seine Vorstellung von Freiheit, Demokratie und Frieden werben. Für die Welt verkörperte er den «guten Deutschen» schlechthin.

Er war aber auch voller Widersprüche. Noch Mitte der 80er-Jahre sprach er von der «Lebenslüge» der Wiedervereinigung und verkündete dann im Wendeherbst 1989 pathetisch: «Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.» Willy Brandt - ein Mensch, der nach eigenem Bekunden nie ein «Säulenheiliger» sein wollte.

Heute findet anlässlich des 10. Todestages von Willy Brandt eine Veranstaltung im Friedrich-Ebert-Haus (Tiergarten, Hiroshimastr. 17) statt. Ausrichter sind die Bundeskanzler-Willy-Brandt- und die Friedrich-Ebert-Stiftung. Bis 14 Uhr kann man sich noch für eine kostenlose Teilnahme anmelden: Telefon 030/7 877 070