Berlin - Plötzlich kommt doch noch mächtig Fahrt in die rot-grünen Koalitionsverhandlungen - auch, wenn der Fahrplan es ganz anders wollte. Abseits aller Inhalte hat die Top-Personalie des neuen Kabinetts Schröder Vorrang: Nach einer Woche des hektischen Werbens mag sich Wolfgang Clement nicht länger sträuben und sinkt dem Kanzler in die Arme - als Superminister für Wirtschaft und Arbeit. Das Doppel der Clement-Vorgänger, Werner Müller und Walter Riester, verlässt düpiert das Kabinett. Tag 14 nach der Wahl, ein erster echter Schröder.
Noch gestern Vormittag sitzen der Kanzler und sein nunmehr erster Knappe stundenlang im Kanzleramt. Ein Bewerbungsgespräch ist das wohl nicht, zumindest nicht aus Clements Sicht. Vielmehr beraten Schröder und Clement gemeinsam mit Harald Schartau, dem Chef der nordrhein-westfälischen SPD, über die Zukunft im größten Bundesland. Nur eine halbe Stunde lang dagegen dauert der Besuch Riesters im Kanzleramt. Er wähnte sich bis ganz zuletzt im Besitz einer festen Zusage des Kanzlers für weitere vier Jahre. Es hat nichts genutzt; Riester beginnt seine Karriere als frisch gewählter SPD-Abgeordneter im Bundestag mit einer krachenden Abfuhr. Müller bezeichnete die Entscheidung als «sehr gute Lösung». Nur ein gestandener Sozialdemokrat wie Clement sei in der Lage, das neue Superministerium zu führen, sagte er der «Berliner Zeitung». Zur eigenen Regierungsarbeit meinte Müller, «grundsätzlich sind vier Jahre genug».
Für den Bundeskanzler ist die Causa Clement vielleicht die spektakulärste Entscheidung in den ansonsten eher unspektakulären Koalitionsverhandlungen. Es ist die Schlüssel-Personalie auf der entscheidenden Baustelle dieser Legislaturperiode: dem Arbeitsmarkt. Und es ist noch viel mehr, wie sich die Beobachter bei Grünen und SPD weitgehend einig sind. Je mehr Macht und Auftrag der Kanzler Wolfgang Clement im Kanzleramt gestern versprochen hat, um so mehr dokumentiert Gerhard Schröder damit, dass er es noch einmal wissen will - dass er nach mehr als zwei verschlafenen Jahren und einem eher links gewirkten Wahlkampf doch in die «Mitte» zurückkehren will. Oder behalten die Skeptiker recht? Vielleicht braucht der Kanzler ja nur einen, der ihm bei der «Chefsache Arbeitsmarkt» mit ehrgeizigen Vorschlägen erst die Kastanien aus dem Feuer holt, bevor er ihn in einem windelweichen Kompromiss mit Gewerkschaften und Traditionalisten desavouiert zurücklässt.
Die Grünen setzen auf den Modernisierer Clement - auch wenn er sie in der NRW-Landesregierung regelmäßig Arroganz hat spüren lassen. «In den Koalitionsverhandlungen ist er ein aufgeschlossener Modernisierer», lobt Grünen-Chef Fritz Kuhn. Auch Vizekanzler Joschka Fischer drängte mit aller Macht auf die Berufung Clements. Offenbar fürchtet der «Gottvater» der Grünen nicht, dass ihm ein Superminister im Kabinett den Rang ablaufen könnte.
Ganz selbstlos verfolgen die Grünen die Bestallung Clements aber nicht. Sollte der ein fusioniertes Arbeits- und Wirtschaftsministerium erhalten, könnte ohne großes Aufsehen die Zuständigkeit für Energie zu Jürgen Trittins Umweltministerium abgezweigt werden - was der bisherige Wirtschaftsminister Müller stets abgelehnt hatte.
Für die SPD ist die Berufung Clements heikel. Die wichtigsten Stützen des Kanzlers sind jetzt zwei nordrhein-westfälische Sozialdemokraten - die sich aber nicht schätzen: Clement und SPD-Fraktionschef Franz Müntefering. Clements Lieblingsprojekt einer sozialliberalen Koalition am Rhein scheiterte vor zwei Jahren am damaligen SPD-Landeschef Müntefering, der Clement brüsk mit einem Sonderparteitag der überwiegend rot-grün gestimmten Landes-SPD drohte. Außerdem sind die forsche Art Clements («Herrgott, gib mir Geduld, aber sofort») und sein bisweilen cholerisches Auftreten in der Partei gefürchtet - Clement braucht aber Münteferings SPD-Bundestagsfraktion für jedes Reformvorhaben.
Die Skeptiker in der Partei schweigen. Offen kritisch zeigten sich nur die Gewerkschaften. Der Chef der IG Bergbau, Chemie und Energie, der Schröder-Vertraute Hubertus Schmoldt, erklärt: «Wir halten beide Ressorts, Wirtschaft und Arbeit, für eigenständig wichtige Ressorts.» Deshalb müsse man sie getrennt belassen. Ähnlich äußert sich die IG Metall. Reformen, so sehen sie es, können nur zu Lasten ihrer Klientel gehen. Die Industrie- und Arbeitgeberverbände dagegen loben Clements Berufung.
So hat der Kanzler mit einem einzigen Zug die ganze politische Landschaft sich so sortieren lassen, wie sie ihn wohl die ganze Amtszeit umstellen wird: hier die echten und die selbsterklärten «Reformer», da die «Besitzstandswahrer». An ihm ist es nun, sich den einen oder den anderen zuzuneigen. Auf den Kanzler kommt es an. So macht Regieren Spaß.