Berlin - Die Bundesregierung will bis zum Ende der neuen Legislaturperiode im Jahr 2006 das Prinzip der Wehrpflicht überprüfen. Darauf einigten sich SPD und Grüne bei der gestrigen Runde der Koalitionsverhandlungen in Berlin nach einer mehrstündigen, kontroversen Debatte. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sagte am Abend, «nötig werdende Strukturanpassungen» müssten überprüft werden. Dies schließe mögliche Änderungen an der «Wehrform» ein. Der Bericht der Kommission zur Bundeswehrreform, die der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker geleitet hatte, liefere dazu «vielfältige und sehr ernst zu nehmende Ansatzpunkte».
Außenminister Joschka Fischer (Grüne) sprach von einer «schwierigen Kompromissfindung». Das Ziel, eine - möglicherweise neue - «Wehrverfassung» zu formulieren, bedeute einen «neuen Schritt in die richtige Richtung». Die Grünen fordern seit langem die Abschaffung der Wehrpflicht, an der die SPD festgehalten hatte. Bisher hatte Bundesregierung davon gesprochen, die Bundeswehrreform «nachzusteuern». Dabei sollten jedoch die Prinzipien Wehrform und Truppenstärke nicht angetastet werden. Die Weizsäcker-Kommission hatte sich allerdings für eine drastische Reduzierung der Truppenstärke auf 240 000 Mann ausgesprochen. Unter ihnen sollten nur noch 40 000 Wehrpflichtige sein. Derzeit gibt es 285 000 Soldaten, darunter 85 000 Wehrpflichtige. Fischer kündigte an, Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) werde im November einen «Finanzstatus» für die anstehenden Rüstungsprojekte vorlegen. Darauf basierend werde dann entschieden. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth feierte das Ergebnis der Verhandlungen für ihre Partei als Erfolg: «Zum ersten Mal wird das Dogma» (nicht über Wehrpflicht zu sprechen) angegangen». Auch über Spezialeinsätze der Bundeswehr wird weiter der Bundestag entscheiden. Das von den Sozialdemokraten zunächst geforderte Entsendegesetz, mit dem der Regierung größerer Handlungsspielraum bei Auslandseinsätzen deutscher Soldaten eingeräumt werden sollte, wurde gestern nicht angesprochen. Der SPD-Außenexperte Gernot Erler sagte der Berliner Morgenpost: «Wir haben uns darauf verständigt, das Entsendegesetz nicht weiter zu verfolgen.» Das Gesetz werde somit nicht in der Koalitionsvereinbarung stehen.