Signal an die EU: Öcalan wird nicht hingerichtet

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Istanbul - «Ich hätte den Terroristenführer aufgehängt, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, wenn es dafür im Parlament eine Mehrheit gegeben hätte», sagte noch vor einer Woche der türkische Vizeregierungschef und Nationalistenführer Devlet Bahceli. Doch das türkische Parlament, die angestrebte EU-Mitgliedschaft vor Augen, entschied anders. Als es im August mit anderen demokratischen Reformen die Todesstrafe in Friedenszeiten abschaffte, bewahrte es damit auch den einstigen «Staatsfeind Nummer eins», den Chef der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Abdullah Öcalan, vor dem Strang.

Dasselbe Staatssicherheitsgericht, das Öcalan am 29. Juni 1999 wegen Hochverrats zum Tode verurteilt hatte, wandelte das Todesurteil in lebenslange Haft um - ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung durch Begnadigung oder eine der in der Türkei häufigen Amnestien. Obwohl sich das Schicksal des Häftlings auf der Marmarameer-Insel Imrali wie ein roter Faden durch die heftig geführte Debatte um die Abschaffung der Todesstrafe gezogen hatte, blieb ein neuer Aufschrei diesmal aus. Die türkischen Zeitungen widmeten dem Beschluss des Gerichts gestern nur wenige Zeilen.

Noch vor vier Jahren, als der PKK-Führer nach monatelanger Jagd in einer spektakulären Geheimdienstaktion in Kenia gefasst wurde, wäre eine solche Entwicklung für viele Türken unvorstellbar gewesen. Der «Öcalan-Coup» brachte nicht nur Regierungschef Bülent Ecevit bei den Wahlen 1999 die entscheidenden Stimmen für eine weitere Amtszeit. Er stärkte auch Bahceli und seine nationalistische MHP, die mit dem Slogan «Hängt Öcalan» überraschend als zweitstärkste Fraktion ins Parlament eingezogen war.

Seither hat sich der Wind gedreht. Der 13. EU-Beitrittskandidat Türkei, mit dem allerdings noch nicht verhandelt wird, sieht in Reformen und in der Osterweiterung der Europäischen Union die «letzte Chance», in absehbarer Zeit auf den EU-Zug aufzuspringen. Die Umwandlung der Todesstrafe Öcalans ist daher ein wichtiges Signal an Brüssel. dpa