Berlin - In der CDU sind rund zwei Wochen nach der verlorenen Bundestagswahl Forderungen nach einer Strategiedebatte lauter geworden. CDU-Chefin Angela Merkel und der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) stellten gestern in Analysen zum Wahlergebnis fest, dass die Union Glaubwürdigkeitsdefizite im Norden und Osten, in den großen Städten sowie bei Frauen und jüngeren Wählern aufzuarbeiten habe. Der Regierungschef von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer (CDU), machte Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) für die Wahlniederlage verantwortlich. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Christian Wulff forderte eine thematische Neuorientierung seiner Partei. Die Option Schwarz-Grün blieb in der CDU umstritten.
Rund fünf Wochen vor dem CDU-Bundesparteitag in Hannover merkte Merkel an, dass 40 Prozent der Männer am 22. September CDU gewählt hätten, aber nur 37 Prozent der Frauen. «Diese drei Prozent fehlen uns, mit ihnen hätten wir die Wahl gewonnen», sagte sie. In den Großstädten sei das Hauptproblem das gute Abschneiden der Grünen, deren Themen Verbraucherschutz, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und die Verbesserung der Kinderbetreuung den Wählern offenbar wichtiger gewesen seien als die Verteuerung von Benzin durch die Ökosteuer.
Einen besonderen Schwachpunkt sieht die CDU-Chefin in der Wahrnehmung des Familienbilds der Union. «Patchwork-Familien» fühlten sich von der CDU nicht gleichberechtigt akzeptiert. Merkel kündigte an, sich jeder Parteinahme in der Union für eine bestimmte Lebensform entgegenzustellen.
Auch Müller forderte, die CDU müsse familienpolitisch «glaubwürdiger» werden. Das Wahlergebnis dokumentiere, «dass es der Union unzureichend gelingt, das Lebensgefühl der Menschen in den norddeutschen, in den neuen Bundesländern und in städtischen Milieus zu erreichen», wie er in dem Grundsatzpapier «Die Union nach der Bundestagswahl» schreibt. Zudem fühlten sich Frauen und jüngere Menschen «in unzureichendem Umfang» angesprochen. Die Union müsse sich auf eine volle Legislaturperiode in der Opposition einstellen. Dabei gebe es «keinen Raum für eine wie auch immer geartete Blockadestrategie».
Wulff verlangte, die Union müsse sich thematisch öffnen und Kompetenzen in den Bereichen Umwelt und Kultur zurückgewinnen. Der CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Niedersachsen räumte indirekt ein, dass es ein Fehler gewesen sei, im Bundestagswahlkampf nahezu ausschließlich auf die Themen Wirtschaft und Arbeit zu setzen.
Ministerpräsident Böhmer sagte, bei der Wahl hätten nicht die Programme, sondern «die Spitzenkandidaten die entscheidende Rolle gespielt». Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sei bei den Menschen im Osten besser angekommen als der Unionskandidat Stoiber. Zugleich unterstrich er: «Wir müssen die Befindlichkeiten der Menschen nördlich der Mainlinie besser aufnehmen. Das Wahlergebnis spricht dafür, dass das noch nicht ausreichend geschehen ist». Zudem sprach sich Böhmer für schwarz-grüne Koalitionen aus.
Auch nach Auffassung der stellvertretenden Unionsfraktionschefin Maria Böhmer (CDU) sollte die Union Schwarz-Grün «als Option im Auge haben». Mit den Grünen gebe es große «Schnittmengen» beispielsweise im Bereich der Gentechnik. Auch seien viele Politiker bei den Grünen «sehr werteorientiert».
Der CDU-Chef von Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen, sagte, er stehe Schwarz-Grün «völlig offen» gegenüber. Wulff nannte die Diskussion über Bündnisse mit den Grünen indes eine «Phantomdebatte». Der CDU-Chef von Brandenburg, Jörg Schönbohm, sagte, auf Grund der höchstens «marginalen Schnittmengen» seien solche Optionen «kaum mehr als Rechenübungen».