«Abstimmung mit den Europäern wurde versäumt»

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Daniel F. Sturm

Berlin - FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt hat Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber vorgeworfen, seine Kritik an einem möglichen Alleingang der USA gegen den Irak beruhe allein auf Wahlkampfgründen.

Herr Gerhardt, US-Vizepräsident Cheney hält gegen den Irak «präventive Schritte zwingend erforderlich». Überfordert Washington die deutsche Außenpolitik?

Wolfgang Gerhardt: Es geht nicht um die Frage einer Überforderung, sondern einer unterschiedlichen Risikoeinschätzung zwischen unseren amerikanischen Verbündeten und den Europäern. Die Europäer legen größeren Wert auf internationale Organisationen, auf das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen. Die Amerikaner hingegen fühlen sich durch internationale Organisationen eher behindert. Sie sehen sich von ihnen beeinträchtigt, ihr Verständnis von Freiheit und Werten durchzusetzen, notfalls dafür militärisch zu intervenieren. Es gibt also nicht nur einen transatlantischen Streit, sondern Unterschiede in der grundsätzlichen Haltung.

Nach der Bundesregierung hat nun die Union einen möglichen Alleingang gegen Irak ablehnt. Rückt die FDP gleichfalls von der US-Regierung ab?

Mit Blick auf den Irak muss es beim Gewaltmonopol der Vereinten Nationen bleiben. Das ist seit Monaten unsere Position. Die Vereinten Nationen müssen mit ihren Waffeninspekteuren wieder in den Irak kommen. Wenn Amerika von dieser bisher gemeinsamen Haltung abrückt und stattdessen unilateral vorgehen will, dann trägt Amerika dafür die Verantwortung. Allerdings darf Amerika nicht damit rechnen, dass Europa ebenso seine Meinung ändert, nur weil Amerika dies getan hat.

Sie fordern also die Rückkehr der UN-Waffeninspektoren?

Wir streiten nicht über den Charakter des Diktators. Saddam Hussein trägt wahrlich nicht zur Beruhigung der Menschheit bei. Aber wir können nicht unilateral gegen Länder oder Staatschefs vorgehen, die wir nicht mögen. Da muss es eine klare Grenze geben. Umso wichtiger ist die Waffeninspektion, sie ist eine internationale Aufgabe.

Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber geht gegenüber den USA nun deutlich auf Distanz. Wie bewerten Sie diese Neu-Positionierung?

Die Position von Herrn Stoiber ist durchschaubar: Er möchte nicht, dass die Menschen im Wahlkampf Herrn Schröder für einen Friedensengel und Herrn Stoiber für einen Kriegstreiber halten. Mit seiner klaren Stellungnahme gegen einen Alleingang der Amerikaner hat sich Herr Stoiber somit diese wahlkampfgeprägte Vereinfachung vom Leibe gehalten.

CSU-Landesgruppenchef Glos warnt mit Blick auf einen Angriff gegen Irak vor einem «unkalkulierbaren Risiko». Damit lässt er jene Drohkulisse gegen Bagdad fallen, was die Teile der Opposition wiederum der Koalition vorwerfen.

Ich werfe der Regierung vor, dass sie sich nicht von Anfang an mit den Europäern abgestimmt hat. Schließlich muss man in Europa mit einer Stimme sprechen, will man die Amerikaner in eine gemeinsame Position einbinden. Das ist von der Regierung Schröder versäumt worden. Der Fehler der amerikanischen Regierung wiederum liegt darin, dass sie die Vereinten Nationen nicht stärken.

Wann rechnen Sie mit einem möglichen Angriff gegen den Irak?

Ich bin kein Mann des Generalstabs. Meine Hoffnung ist nach wie vor, dass die Europäer zu einer einheitlichen Position zusammenfinden. Eine solche klare Position würde ihre Wirkung nicht verfehlen, zumal in Amerika die kritischen Stimmen lauter werden. Jene Positionen finden sich also nicht nur in Europa, sie finden sich ebenso im Repräsentantenhaus, im Senat sowie unter politischen Beratern der US-Administration.

Großbritannien plädiert jetzt für ein Ultimatum an Saddam Hussein zur Rückkehr der Waffeninspektoren.

Das ist ein hilfreicher Hinweis auf die abgesprochene Haltung zwischen Verbündeten. Man muss die Weltgemeinschaft schließlich überzeugen und diesen Schritt legitimieren, wenn man gegen Saddam Hussein vorgehen will.