Schröder möchte mehr dazwischengehen

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Guido Heinen

Berlin - Kaum sind der Worte genug gewechselt, da beginnt auch schon die Zeit für Taten. 330 Journalisten haben sich für das erste TV-Duell der deutschen Fernsehgeschichte akkreditiert. Wenn man ihnen jetzt nicht klarmacht, dass der eigene Mann soeben als Sieger aus dem Duell hervorgegangen ist, hat man die Wahl in vier Wochen bereits verloren. Denn das 75-minütige Verbalgefecht, da sind sich die Meinungsforscher ausnahmsweise mal einig, fließt erst durch die mediale Nachbetrachtung in die Entscheidung der Wähler ein - - vor allem in die der bis dahin unentschlossenen. Sieger ist daher nicht unbedingt der bessere Mann. Sondern derjenige, den die Medien dazu erklären.

Die Union scheint das besser verstanden zu haben. Vielleicht hat sie den Meinungsdeutern aber auch nur intensiver zugehört, da sie vor dem Duell weniger zuversichtlich auf den Kandidaten schaute als die SPD auf den Kanzler. Jedenfalls bevölkern am Duellabend Unionsmenschen gleich in Fraktionsstärke den Presseraum und lassen die wenigen SPD-Vertreter als eine vom Aussterben bedrohte Art erscheinen. Also Interpretieren, Eintrichtern, Stimmung machen, Deutungshoheit gewinnen. Ob Generalsekretär, Wahlkampfmanager, Bundestagsabgeordnete, Mitglieder des Stoiber-Teams oder Pressesprecher von Partei und Fraktion - bei der Union ist alles unterwegs, was nur halbwegs agitieren kann. Und ob man es hören will oder nicht - sie überschlagen sich vor Begeisterung für ihren Kandidaten. Durch die Unionsbrille gesehen ist Edmund Stoiber der «klare Sieger», der «angriffslustig und konzentriert» sowohl einen «überraschend schwachen Schröder» als auch einen «entzauberten Medienkanzler» geschlagenen hat - und das mit «viel Engagement und wenig Ähs».

Stoiber, so die Meinung selbst bei solch berufsbedingten Gegnern wie Kampa-Chef Matthias Machnig und Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, war besser als erwartet. Für einen künftigen Kanzler mag das als Kriterium zwar nicht überaus anspruchsvoll sein - es reichte an diesem Abend aber aus, um den amtierenden zu bremsen. Dabei half ihm ein kleiner rhetorischer Trick, der sich eindeutig nach Michael Spreng, dem obersten Wahlkampfstrategen des Kandidaten, anhörte. Der «Flutkatastrophe», die Gerhard Schröder unlängst in den Umfragen nach oben spülte, setzt Stoiber im Duell gleich mehrfach andere Katastrophen entgegen: vor allem die «Arbeitsmarktkatastrophe» und die «Katastrophe beim Wirtschaftswachstum». Ein bisschen Apokalypse kann ja nicht schaden, wenn der Kanzler nicht als Krisenmanager, sondern als Unglücksursache erscheinen soll.

Dabei hatte es wenig glücklich begonnen für den Kandidaten. Als am Sonntagabend pünktlich um 20.30 Uhr das Duell freigegeben wird, steht Stoiber dort, wo man ihn nicht vermutet: links vom Kanzler. Der eröffnet, der Kandidat schaut weg. Dann Stoibers erster Auftritt - nach Meinung von Dick Morris, dem Ex-Chefberater von Bill Clinton, bereits der wichtigste: «Bei einem TV-Duell entscheiden die ersten Minuten über Sieg oder Niederlage.» Und Stoiber zeigt, dass er aus den Fehlern eines anderen Bayern gelernt hat. Er giftet den Gegner nicht an wie einst Franz Josef Strauß - er lobt ihn. Er möchte dem Kanzler «auch mal bei so einer Gelegenheit» seinen Respekt zollen - für sein Handeln in den Tagen der Flut. Das bringt Punkte beim Zuschauer. Aggressivität schätzt der nämlich noch weniger als drei «Äh» zuviel.

Stoiber kommt spürbar zugute, dass die Durchinszenierung des 75-Minuten-Spekatakels mit seinen abgesprochenen Themen und strikten Redezeiten kaum Raum für das lässt, was ihm ohnehin niemand zutraut: Spontaneität und Improvisationskunst. Als Schröder einmal versucht, die starre Dramaturgie aufzubrechen, wird er sofort von den Moderatoren zurückgepfiffen. Von da an trägt Stoiber ein Lächeln im Gesicht, dass bis zum Ende der Sendung nicht mehr vergehen will.

Wahrscheinlich lächelt er immer noch. Jetzt aber über die verzweifelten Versuche der SPD, für das zweite Duell am 8. September die Regeln aufzuweichen. Von seiner eigenen Leistung zeigte er sich höchst zufrieden. «Überall, wo ich mich heute hinbewege, rufen mir die Menschen zu: Das haben Sie großartig gemacht», sagte der CSU-Chef gestern in Duisburg. Auch CDU-Chefin Angela Merkel nannte den Ausgang des TV-Duells einen «klaren Erfolg für Edmund Stoiber und die Union».

Merkel machte gestern bei einer Pressekonferenz schon mal klar, was sie, der Kandidat und die Union insgesamt vom Gerede der SPD von einer Regeländerung halten: gar nichts. «Alles ist bereits abgemacht.» Das Korsett bleibt also schön eng, dass Stoiber kein «Äh» mehr über die Lippen kommt. Das hilft sowohl dem Charisma als auch dem Charakter - und der Wortwahl sowieso.

Berlin - Der Stammtisch, über dem es an diesem Abend die Lufthoheit zu erringen gilt, ist eine runde Theke, in Neonlicht getaucht, mit Dutzenden Getränken bestückt. Politiker und Spin-Doctors, die zur Interpretation herangeeilt sind, greifen zu trockenem Silvaner und Caipirinha, die Journalisten, die das alles akkurat aufschreiben sollen, zur Apfelsaftschorle.

Schon vor dem Duell, das in einem Studio nur wenige Meter entfernt stattfindet, sind erste Truppen im Saal unterwegs.

Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier erklärt nochmals die wahre und gewandelte Bedeutung der «ruhigen Hand». Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye erläutert Schröders «Ruhe und Gelassenheit», während sozialdemokratische Sekundanten aus den öffentlich-rechtlichen Sendern schon mal verbale Sektkorken knallen angesichts der «Hinrichtung», die der Kanzler dem Herausforderer jetzt gleich beibringen wird.

Dann kommt es alles ein wenig anders. Gleich bei der ersten Frage scheint dem Kanzler zu dämmern, dass dies hier nicht so einfach werden wird. Er, der lieber von sich als von seiner Politik redet, wird plötzlich nach dem Ich gefragt. Warum die Leute denn ausgerechnet ihn wählen sollen? Weil er von sich selbst überzeugt sei, sagt Schröder, und so andere überzeuge.

Der Kanzler lächelt. Staatsmännisch soll es wohl sein, so werden seine Assistenten das später auch interpretieren. Aber dieses Lächeln wird im Laufe der Sendung immer eisiger, nachdem Stoiber ihm indirekt zugesteht, dass er das Hochwasser gut gemanagt habe und ihm so den jüngst gezogenen Macher-Joker aus der Hand windet. Später ist der Kanzler sichtlich angefasst, nachdem ihn der Unionskandidat direkt mit den Arbeitslosenzahlen angeht und dann auch noch, eher beiläufig, die opulenten Versprechungen der Hartz-Kommission wieder einfängt, wonach die Arbeitslosigkeit halbiert werde. Schröder pariert schwach, er kommt nicht in Fahrt und wirkt sehr ernst, müde fast. Er scheint wie eingezwängt in das Fragekorsett der Moderatoren und die Faktenorgien seines Herausforderers.

Gleich im Anschluss will keine gute Laune aufkommen, zu gefährlich ist das offensichtliche Unentschieden. Matthias Machnig beteuert tapfer, «wunschlos glücklich» sei er erst am Abend des 22. September. Unter Funktionären kursieren SMS, auf denen klargemacht wird, dass man morgen die als unbeholfen gewerteten Antwort Stoibers zur Rolle seiner Frau im Wahlkampf hochziehen müsse. Müntefering taucht auf und verkündet, die politische Stimmung in der Bevölkerung sei jetzt wieder prima. Da ist die Sendung gerade fünfzehn Minuten vorbei, der Stammtisch diskutiert noch.

Am Tag danach hat sich die SPD gefangen, alles dreht sich um das «Korsett», in das Schröder gezwängt worden sei. Zudem wird das Duell systematisch kleingeredet. Im Präsidium, so wird verbreitet, sei es kein Thema gewesen. Sollte wirklich niemand Schröder gratuliert haben? Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe hatte eingeschätzt: «Der Kanzler hat hart gearbeitet, Stoiber hat für den Auftritt fleißig geübt. Das macht ihn mir richtig unheimlich». Und die Kieler SPD-Regierungschefin Heide Simonis ließ durchblicken, dass die Schuld wohl auch etwas bei Schröder zu suchen sei: «Der Kanzler sollte beim nächsten Mal etwas lockerer und angriffslustiger sein».

Gleichzeitig gilt maximale Medienbearbeitung. So tritt Schröder vor die Presse und gibt den Kanzler, wie sie ihn mögen: Schnoddrig, spontan, lustig, den direkten Kontakt suchend. Vor dieser augenfälligen, bewusst herbeigeführten Differenz zum Vorabend erklärt er seine Probleme mit dem Mieder. «Ich gehöre nicht zu denjenigen, die die Regeln machen.» Er wolle aber gerne «direkter reagieren». Üben müsste er dafür nicht. «Ich habe nicht die Absicht, in ein Trainingscamp einzurücken», sagt Schröder. Auf die Frage, ob er mit dem Verlauf zufrieden sei, nimmt er seine Lieblingspose des unbeteiligten Beobachters ein: «Es ist immer schwierig etwas zu bewerten, an dem man selber teilgenommen hat.» Um am Ende den verblüfften Korrespondenten die wichtigste Botschaft des Tages mitzugeben. «Entscheidend wird sein, wie Sie das bewerten.»