Der Joker hat nicht gestochen

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Johann Michael Möller

Ganz egal, wie unglücklich die Dramaturgie des Fernsehduells auch wirkte; und ganz egal, welchen Stellenwert man solchen TV-Ereignissen beimisst: Die SPD hat ihren Joker Gerhard Schröder gesetzt - und er hat nicht gestochen. Das ist das eigentliche Signal, das vom Aufeinandertreffen der beiden Spitzenkandidaten am Sonntagabend ausgeht. Der Kanzler hat sich ausgerechnet dort entzaubert, wo er traumwandlerisch sicher schien, vor der Fernsehkamera: Nicht nur weil Stoiber sich überraschend gut geschlagen hat und Schröder erstaunlich matt und lustlos wirkte, sondern weil der Kanzler jenes Gesetz der Serie durchbrochen hat, die den Sozialdemokraten in den letzten Wochen so auffällig günstig erschien.

Erst kam die Hartz-Kommission und der programmatische Überraschungscoup, auf den die Union lange keine Antwort fand; dann die große Flut mit der Stunde der Exekutive; und schließlich das neue Umfragehoch, das Bewegung in die Wählerstimmung brachte. Für Edmund Stoiber also die denkbar schlechteste, für Gerhard Schröder die denkbar beste Ausgangssituation, um der Fernsehnation die wahren Kräfteverhältnisse vor Augen zu führen. Der Kanzler hätte es in der Hand gehabt, den seit Monaten gegen die Sozialdemokraten gerichteten Trend zu wenden, den jüngst glücklichen Lauf für seine rot-grüne Regierung mit einem überzeugenden Auftritt zu krönen.

Genau das ist ihm nicht gelungen. Ausgerechnet mit dem persönlichen Pfund, auf das die Wahlkampfstrategen der SPD so hofften, konnte er nicht wuchern. Da spielt es schon keine Rolle mehr, ob sein Herausforderer fast so gut oder sogar besser wirkte - die Magie des solitären Regenmachers Gerhard Schröder ist gebrochen. Fortan wird es in diesem Wahlkampf um die handfesten politischen Realitäten gehen, um die Bilanz von vier Jahren rot-grüner Regierungszeit, und die Konzepte zur Bewältigung der Arbeitslosigkeit und der wirtschaftlichen Misere im Lande; um Steuerpolitik und Gesundheitsreform. Der Kanzler wird sich an seiner konkreten Politik messen lassen müssen. An seinen Reformprojekten und Wahlversprechen. Und an den Arbeitslosenzahlen, die auch im September kaum besser sein werden als jetzt. Die Zeiten der medialen Beschwörung sind vorbei. In ihrer altmodischen Steifheit hat die Fernsehsendung mit Edmund Stoiber und Gerhard Schröder am Sonntagabend, die man mit Fug und Recht kaum als Duell bezeichnen kann, den politischen Inhalt wieder über den Effekt gestellt. Das ist dem Herausforderer entgegengekommen und hat den Kanzler sichtbar eingeengt. Schon deshalb will man bei der SPD jetzt schnell die Regeln für die nächste Runde ändern. Gerhard Schröder wird versuchen, diese Chance noch zu nutzen. Aber sein Herausforderer tritt ihm beim zweiten Mal auf gleicher Augenhöhe gegenüber.