Wahlkampf Mann gegen Mann

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Michael Stürmer

Foto: ELD MAG

Geschossen wird nicht mehr, allenfalls metaphorisch in den Medien. Trotzdem hat das Duell nichts von seinem Reiz verloren. Nach amerikanischen Vorbild findet dieses auch in Deutschland zwischen den Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers statt.

Berlin - Ein Schuss im Morgengrauen vor den Mauern der Stadt, und wie als Echo darauf ein zweiter Schuss. Der Arzt stellt die tödliche Verletzung des Getroffenen fest, der siegreiche Schütze sieht ehrenvoller Festungshaft entgegen. Die Sekundanten können milde Richter erwarten.

Das Duell war zwar von Fürsten und Kriegsherren, um blaues Blut zu sparen, seit ältesten Zeiten offiziell verboten. Aber wehe dem, der kniff. Er war fortan unter den satisfaktionsfähigen Herren moralisch tot. Die Ehre war das unsichtbare Gesetz, das Oben und Unten bestimmte, Gewinner und Verlierer. Das Duell folgte abgezirkelten Regeln, über welche die Sekundanten wachten. Die Entscheidung lag in der Spitze des Degens oder kam aus dem Lauf einer Pistole. Solche Waffen wurden von den Büchsenmachern stets in Paaren geliefert. Durch das 19. Jahrhundert zieht sich eine Blutspur in Literatur und Leben. Wer nobel war, schoss absichtlich in die Luft. Wer auf anständige Weise morden wollte, zielte aufs Herz. Alexander Puschkin verendete elendiglich an den Folgen eines Duells. Der Arbeiterführer Lassalle starb, um eine Aristokratin zu verteidigen, den selben Tod.

Die Satisfaktionsfähigkeit ist geblieben. Eigentlich findet der Kanzler es unter seiner Würde, sich auf dem ebenen Spielfeld der öffentlichen Debatte dem Stammesherzog der Bayern zu stellen. Aber die in Amerika für TV umgeschriebenen Regeln des Duells lassen es untunlich erscheinen auszuweichen. Guido Westerwelle, Kanzlerkandidat besonderer Art, wollte das Duell à trois und damit die Regeln neu erfinden. Es blieb ihm verwehrt, nicht durch eigene Bescheidenheit.

Geschossen wird nicht mehr, allenfalls metaphorisch. Die Sitten sind zivil, die Austragung wird nicht durch die Kugel oder Hieb und Stich entschieden, sondern durch den Platz, an dem am Wahlsonntag die Wähler ihr Kreuzel machen. Der Ausgang bestimmt nicht über Tod und Leben, aber immer noch über Ehre und Macht.

Zuerst treffen die Protagonisten in den Printmedien aufeinander, in «Bild» und «Bild am Sonntag», nun in «Süddeutsche» und «Welt». Knappheit ist gefordert, Gratwanderung zwischen Klarheit jetzt und Manövermasse später. Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung sind subtile Waffen. Der Leser will, damit er dranbleibt am langen Text, unterhalten sein. Die Moderatoren folgen geheimen Regeln: Aus der Masse der abgegriffenen Phrasen das Profil herauszuarbeiten, hinter der Maske der Macht den Menschen zum Sprechen zu bringen. Es darf nicht fehlen, was einmal den Kampf mit dem Degen auszeichnete: Jäher Angriff, blitzende Replik und überraschender Stoß. Jene Originalität, welche die Protagonisten vermissen lassen, müssen die Moderatoren herbeizaubern. Ihr Kunst ist es, Fragen so zu stellen, dass das Ungesagte hörbar und absichtsvoll Verschwiegenes ans Licht gehoben wird.

Das große Spiel aber findet längst, dank Amerika, im Fernsehen statt, prime time television, Millionenquote garantiert. Das Medium diktiert die Spielregeln, zwingt die kurzen Botschaften in hoffnungslose Einfachheit, spiegelt Authentizität vor. Altgediente Moderatoren, politisch korrekt nach Quote ausgesucht, spielen die Volkstribunen, die den Mächtigen nahe treten dürfen - aber nicht zu nahe, wenn ihnen ihre weitere Karriere lieb ist.

Als das Fernsehen noch schwarz weiß war und im Stande der Unschuld, fand im Herbst 1960 die erste und bis heute berühmteste Kandidatendebatte statt. Richard Nixon, Vizepräsident Eisenhowers, stand gegen Senator John F. Kennedy. Der republikanische Vizepräsident hatte den Amtsbonus und den Segen des Establishments. Der demokratische Senator von Massachusetts war katholisch, irischer Abkunft, der Reichtum des Bostoner Clans in den Zeiten der Prohibition auf niemals ganz geklärte Weise erworben. Aber JFK sah jungenhaft aus, war Held des pazifischen Krieges, mit einer Dupon-Erbin glanzvoll verehelicht, und hatte sich um die Armen gekümmert. Vor allem wusste Kennedy das Medium TV als Waffe einzusetzen, und das Fernsehen dankte es ihm. Seine Frage, direkt an die Zuschauer gewandt, war die finale Stichwaffe: «Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?»

Von den Helden vor Troja, die einander, bevor sie zur blutigen Tat schritten, schwer beschimpften, bis zur englischen Studentendebatte, wo am Ende die Zuhörer über Witz und Gewandtheit der Kämpfer abstimmen, reicht die abendländische Tradition des polemischen Austauschs der Worte. Heute werden die Helden nicht mehr entseelt Walstatt getragen. Was indes aussieht wie Spiel und Unterhaltung, enthält - vielleicht - die Entscheidung über Wohl und Wehe des zahlenden Publikums.