Mit demonstrativem Siegeswillen trotz der schlechten Umfrageergebnisse hat die SPD die heiße Phase ihres Bundestagswahlkampfes eröffnet. Bundeskanzler Gerhard Schröder betonte in seiner Rede vor allem die Probleme in der Außenpolitik.
Hannover - «Wir haben doch noch einen guten Draht nach oben», blickt eine SPD-Mitarbeiterin erleichtert in Hannovers Himmel. Hatte nicht Generalsekretär Franz Müntefering kürzlich, mit Blick auf die schlechten Umfragewerte der SPD von «schnell fliegenden Wolken» gesprochen? Welche Bilder hätte es gegeben, wenn Platzregen oder gar Blitz und Donner des Kanzlers Wahlkampfauftakt vermasselt hätten? Das will man sich in der Wahlkampfzentrale Kampa gar nicht vorstellen.
Umso zufriedener ist man bei der SPD, dass es trocken bleibt, dass der Platz vor dem Opernhaus sogar gut gefüllt ist. Ganz risikolos war es schließlich nicht, die heiße Phase des Wahlkampfs ausgerechnet auf einen Montagmittag zu legen. Doch es tummeln sich nicht nur Rentner und Studenten zwischen den Luftballons und den Plakaten, die den Kanzler auffordern «Dranbleiben, Gerd!». Die Neue Mitte, in Anzug und Mittagspause, lauscht ebenso den wahlkämpfenden Genossen.
Damit keine bösen Gerüchte aufkommen, ist die SPD-Führung nahezu komplett erschienen. Allein Rudolf Scharping ist nicht zugegen. Doris Schröder-Köpf wird als Geburtstagskind gefeiert und mit «Happy birthday» besungen. Schröder zeigt sich mit seiner Frau in den Armen, präsentiert sich mit dem Victory-Zeichen als Staatsmann. Schröder redet längst nicht so polemisch wie Müntefering («Stoiber heißt Frauen an den Herd, Stoiber heißt mehr Atommüll, Stoiber heißt Mief, Stoiber ist falsch»), nicht annähernd so schnell wie Sigmar Gabriel, sein Nachfolger als niedersächsischer Ministerpräsident.
In seiner Rede sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem Opernplatz in Hannover, die von ihm geführte rot-grüne Regierung habe in vielen Feldern der Politik einen eigenen deutschen Weg eingeschlagen. Deshalb brauche man ein zweites Mandat, um diesen Weg zu Ende zu gehen. Jene Formel vom «deutschen Weg» geistert bereits seit einigen Tagen durch die Sozialdemokratie. Keiner weiß, was sie genau bedeutet. Eher definiert sie, wovon man sich absetzen will, etwa von den USA, dem Neoliberalismus, den Gegnern des Sozialstaates, letztlich also von Stoiber und Westerwelle. Die Zeiten, in denen Amerika als Vorbild gedient habe, seien vorbei, ruft Schröder in die Menge. Pleiten und das «Ausplündern kleiner Leute - das ist nicht der deutsche Weg». Beifall.
Doch der «deutsche Weg» besitzt auch einen außenpolitischen Aspekt, den der Kanzler mit ähnlich deutlichen Worten umreißt. Zur Solidarität sei Deutschland bereit - «aber dieses Land steht unter meiner Führung für Abenteuer nicht zur Verfügung». Ist die «uneingeschränkte Solidarität» - in der Partei nicht eben beliebt - also passé? Und lassen sich mit dieser Distanz PDS-Stimmen gewinnen?
Der Fingerzeig auf den Nahen Osten ist deutlich, doch Schröder wird noch konkreter, verweist auf den Nato-Gipfel am 23. September, am Tag nach der Bundestagswahl. Hier werde ein mögliches Vorgehen gegen den Irak beraten und entschieden. Daher gehöre jenes Thema in den Wahlkampf. «Unser Volk hat einen Anspruch zu erfahren, was die politischen Kräfte in diesem Land wollen.» Diese Frage, ergänzt Schröder, «gehört auf die Tagesordnung, nicht weil uns das eingefallen ist, sondern weil es der Zeitplan diktiert». Zugleich erteilte Schröder einer deutschen Beteiligung an einem Angriff auf den Irak eine Absage.
Schröder greift die «Scheckbuchdiplomatie» Helmut Kohls an, doch wenn er von «diesem, unseren Europa, diesem, unseren Kontinent» spricht, erinnert er ein wenig an seinen Vorgänger. Formeln wie «unser Deutschland», «das deutsche Modell», «lasst uns von Deutschland aus ein Signal setzen», tauchen bei Schröder immer öfter auf. Neben dem «deutschen Weg», dem doch Joschka Fischer nach Übernahme der Regierung so energisch widersprochen hatte, als er «no German Sonderweg» versprach.
Dass Schröder den grünen Spitzenmann nicht über den grünen Klee lobt, verwundert nicht. Doch auch das Wort «Rot-Grün» kommt in Schröders Rede nicht vor. Kein Zufall, denn die Sozialdemokraten haben sich von jenem einst gepriesenen Reformprojekt intern längst verabschiedet. Offiziell will man die Koalition - natürlich - fortsetzen. Zumal es um die Siegeschancen - natürlich - hervorragend steht. «Weit über 10 000 Menschen» haben sich auf dem Opernplatz versammelt, schätzt Schröder - «und das an einem Montagmittag». Deshalb werde vom Opernplatz «das Signal ausgehen: Die Sozialdemokraten machen sich auf, kämpferisch und selbstbewusst, weil sie gewinnen wollen. Und weil sie gewinnen wollen, werden sie gewinnen». Noch immer hat es nicht geregnet. Die Wolken fliegen auch nicht schnell. Doch manchmal lassen sie Sonnenstrahlen passieren.