SPD-Fraktionschef Ludwig Stiegler verspricht, dass seine Partei in der Endphase des Wahlkampfes in die Offensive geht. Die SPD solle nicht von Rot-Grün abrücken. Wer dies tue, «versündigt sich schließlich am gemeinsamen Ziel», warnt der Bayer.
Herr Stiegler, wie wollen Sie das Steuer herumreißen, die Bundestagswahl noch gewinnen?
Ludwig Stiegler : Die Lage ist wie im Fußball: Wir liegen um ein Tor zurück. Nun greift die Mannschaft an, kontert und kämpft. Lange waren wir mit dem Regieren beschäftigt, dann folgte das Tief Sommer, das Tief Scharping. Jetzt aber gehen wir in die Offensive. 30 bis 40 Prozent der Wähler sind noch unentschieden. Das ist ein enormes Potenzial.
Sind Sie denn stark genug in der Offensive? Oder müssen Sie noch zulegen?
Wir werden jetzt CDU/CSU und FDP mit ihren früheren Fehlleistungen konfrontieren. Alle drei Minuten zahlen wir ein Einfamilienhaus für Zinsen der Waigel-Schulden ab. Stoibers recycelte Mannschaft hat diesen Staat doch erst in seine schwierige Lage gebracht! Die einzig Neue in Stoibers Team ist Katherina Reiche - und sie muss nun beim Kardinal beichten und heiraten.
Muss die SPD den politischen Gegner noch stärker angreifen?
Ja, natürlich! Der Wahlkampf geht doch jetzt erst richtig los! Ich vertrete eine Fraktion, die viel gearbeitet und viel geleistet hat. Vieles davon wird leider nicht wahrgenommen, weil manche Leute den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Unter unserer Regierung sind Renten und Nettolöhne gestiegen, wir haben die Zahl der Arbeitslosen reduziert . . .
Aber Ihr Ziel dabei doch nicht erreicht . . .
. . . weil sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geändert haben. Wir haben das Job-Aktiv-Gesetz und das Jump-Programm geschaffen und reformieren jetzt die Arbeitsvermittlung.
Vom Aufschwung reden Sie gar nicht mehr.
Das muss man erklären. Wenn diese Raubtierkapitalisten in den USA mit Betrug Milliarden vernichten, kann das nicht angehen. Wenn aber jetzt Seehofer und Stoiber fordern, die Riester-Rente zu entbürokratisieren, kann ich nur sagen: Wir haben den Spekulanten Fesseln angelegt und die Bürger geschützt.
Viele in der SPD haben Rot-Grün schon abgeschrieben. Sie auch?
Nein, Rot-Grün hat gute Arbeit geleistet, ich will die Koalition fortsetzen. Ich werde jeden von uns packen, der nun über Koalitionen spekuliert und ihn auffordern: Kämpfe lieber, damit wir stärkste Fraktion werden. Wer spekuliert, versündigt sich schließlich am gemeinsamen Ziel.
Was haben Sie gegen eine große Koalition?
Ich will eine starke SPD und eine starke Fraktion, ohne die nicht regiert werden kann. Was hinterher geschieht, interessiert mich jetzt nicht.
Vor einem Jahr hieß es «Politik der ruhigen Hand». War dies ein Fehler?
Nein, damals haben alle Wirtschaftsforschungsinstitute positive Prognosen abgegeben. Die Entwicklung des Jahres 2001 konnte niemand vorhersehen: die Ölpreiskrise, die verrückten Rinder, von denen jedes zweite in Bayern gefüttert wurde, dann der 11. September, jetzt noch Bilanzfälschungen und zusammenkrachende Börsen. Der Kanzler kann in solch einer Situation nicht wie ein Wasserfloh hin- und herflitzen. Er steuert die zweitgrößte Industrienation der Welt. Dafür benötigt man eine ruhige Hand und kann nicht so fahrig agieren wie Edmund Stoiber.
Sie betonen die soziale Komponente in der Politik der SPD. Was halten Sie in der aktuellen Debatte von dem Satz «Es geht nicht mehr um sozialdemokratische oder konservative Wirtschaftspolitik, sondern um moderne oder unmoderne»?
Das ist ein Standardsatz, der nicht zu Ende gedacht ist. Natürlich gibt es eine sozialdemokratische Wirtschaftspolitik, da existiert eine klare Trennlinie zu Stoiber und Merz. Für uns gilt: Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht umgekehrt. Wir fördern die Wirtschaft mit der Steuerpolitik, mit Forschung, Ausbildung, Infrastruktur und und und. Wir fördern die Wirtschaft aber nicht auf Kosten der Arbeitnehmer, das unterscheidet uns von den Konservativen. Stoiber dient sich jetzt beim Mittelstand an und macht gegen die Gewerkschaften die Maggie Thatcher.
Wie bewerten Sie das Stimmungstief der PDS nach dem Rücktritt Gregor Gysis?
Meine Sorge gilt nicht der PDS. Gysi ist geflüchtet statt ordentlich zu schwitzen und hat sich damit aus der Verantwortung gestohlen. Jetzt ist er entzaubert. Das ist eine Botschaft an Menschen, die bisher PDS gewählt haben. Ich lade sie alle ein, den Sozialdemokraten zu vertrauen. Wir machen keine großen Worte, wir arbeiten. Bei uns sind die Wähler der PDS herzlich eingeladen und gut aufgehoben.
Sind Sie froh, dass Rudolf Scharping weg vom Fenster ist?
Froh ist das falsche Wort. Manche in der Partei waren jedoch darüber erleichtert, weil Rudolf Scharping in den letzten Jahren von einer Pechsträhne verfolgt wurde. Scharping ist für mich aber nach wie vor ein anständiger Sozialdemokrat; seine Demut beim Mannheimer Parteitag im Jahr 1995 hat mir imponiert.
Schadet die Bonusmeilen-Affäre dem Ansehen der Politik insgesamt?
Natürlich. Es gibt den Versuch Einzelner, das Ansehen des Parlaments herabzusetzen. Außerdem gibt es eine connection mit der «Bild»-Zeitung, um die Stimmung bei unseren Anhängern zu trüben. Das konservative Lager ist hier immer robuster als wir, die da einfach sensibler sind. Kohl, Kanther und Koch haben Dreck am Stecken, die CDU distanziert sich aber nicht von ihnen. Und die Amigo-Reisenden Stoiber und Späth sitzen ebenfalls im Glashaus.