Leserbriefe

| Lesedauer: 3 Minuten

«Kurve gekratzt»

Zum Artikel: «Gysis Rücktritt stürzt Senat in die Krise» vom 1.8.2002 veröffentlichen wir vier Lesermeinungen.

Der Kommentar zum obigen Thema von Jochim Stoltenberg ist hervorragend. Er umfasst alles Notwendige. Gysi zog die Reißleine, wohl weil die Probleme sich für ihn häuften und ihm über den Kopf zu wachsen drohten. Der deutschen Fernsehanstalten liebstes Kind «kratzt die Kurve», wie man bei uns sagt. Für die Glaubwürdigkeit unserer Republik sicher ein Segen, für Rot-Rot eine Katastrophe, worüber ich meine Freude nicht verhehlen kann.

Wiltrud Putzer, Berlin-Charlottenburg

Die «Intelligenzbestie»

Gysi war die «Intelligenzbestie» unter den Senatsmitgliedern und überragte seinen Chef nach Längen. Ihm ist zuzugestehen, dass er sich in seinem Amt redlich bemühte und dabei das Wohl der Stadt über das der PDS stellte. Dass er wenig Erfolg hatte, lag mehr an den Umständen als an ihm. Seine dunkelrote Vergangenheit hat ihn aber auf allen seinen Wegen begleitet und machte aus dem Befähigten einen Unzumutbaren. Die Bonusmeilen scheine da nur die günstige Gelegenheit, ein Schiff zu verlassen, dass dem Sinken nahe ist.

Klaus G. Werner, Berlin-Pankow

Hintertürchen benutzt

Es tut sich doch mit der Bonusmeilen-Affäre zufälligerweise für Gysi ein kleines Hintertürchen auf, durch das er flugs aus der aktiven Politik verschwinden kann. Er hatte sowieso nur eine begrenzte Neigung, ein festes Amt zu übernehmen, das er zudem bisher nicht mit Erfolg krönen konnte. Der völlig überzogene Schritt eines Rücktritts bietet nun hoffentlich tatkräftigen Nachfolgern neue Chancen. Berlin braucht einen erfolgreichen Wirtschaftssenator.

Michael-A. Radke, 14 476 Fahrland

Warum die Zweifel?

Es ist etwas Einmaliges geschehen im Schlaraffenland für Privilegierte, besser bekannt als Bundesrepublik Deutschland. Während sich Manager von Großunternehmen satte Abfindungen genehmigen und sich Politiker mit zweifelhafter Vergangenheit ihrer Diäten erfreuen und Skandale hämisch kommentieren beziehungsweise mit gespielter Zerknirschung reagieren, wenn es die eigenen Parteifreunde trifft, tritt plötzlich ein Mann wegen lächerlicher vier Privatflüge aus dem dienstlichen Miles & More-Konto zurück. Herr Gysi geht, weil er sich durch das System nicht länger korrumpieren lassen und seine moralischen Maßstäbe nicht über Bord werfen will. Sofort wittert man allenthalben Unrat. Solch eine Begründung zieht bei uns nicht, haben doch Amtskollegen mit viel mehr Dreck am Stecken diesen ohne Schaden für Bankkonto oder Karriere dem kurzen Gedächtnis des Wahlvolks übergeben. Warum zweifelt man an Gysis Gründen für seinen Rücktritt? Weil wir uns an die Unglaubwürdigkeit anderer Politiker bestens gewöhnt haben?

Th. Westphal, Berlin-Lichtenrade

Schweres Erbe

Zum Artikel: «Dringend gesucht: Ein neuer Senator» vom 1.8.2002

Da ist sie wieder. Die Kurzatmigkeit, die keiner brauchen kann. Schon bevor die erste von vielen wichtigen Zwischenstationen zur Reanimation der Berliner Wirtschaft überhaupt in Sicht ist, wieder ein politischer Blindgänger. Man muss wirklich kein Hellseher sein, um zu erkennen, was Herrn Gysi dazu bewogen hat, zurückzutreten. Er kennt die Zahlen, er ahnt: Mit einem toten Pferd kann ich kein Rennen gewinnen. Das Erbe der Landowskys, Rupfs und Steinriedes und der anderen großen und kleinen «Wohltäter» dieser Stadt ist verheerend. Eine «Sonderkommission» muss ins Leben gerufen werden, die sich um nichts anderes kümmert, als Unternehmen für den Standort Berlin zu werben. Wirtschaftspolitisch muss in dieser Stadt schnell etwas geschehen.

Oliver Ackels, Berlin-Wilmersdorf