An wem bleibt der Schwarze Peter hängen? Am Bund der Steuerzahler, der eine «Hetzjagd» (so Bundestagsvizepräsidentin Anke Fuchs) betreibe? An der «Bild»-Zeitung, die dazu das Forum biete (so Kanzler-Gattin Doris Schröder-Köpf)? An Möllemanns FDP, die möglicherweise hinter allem stecke (so SPD-Generalsekretär Franz Müntefering)? An der Lufthansa, die sündige Parlamentarier nicht öffentlich machen will (so Parlamentspräsident Wolfgang Thierse)? Es handele sich um eine «Kampagne», wird gern versichert, und das «Haltet den Dieb» inzwischen in alle möglichen Richtungen gerufen.
Hingegen sind die Cem Özdemirs und Gregor Gysis und andere Abgeordnete, die mit aus Steuermitteln erworbenen Flugmeilen zum Teil auch Freunde und Angehörige kostenlos jetten ließen, in dieser Debatte einigermaßen aus dem Schneider. Rücktritte seien nicht nötig und dort, wo sie bereits erfolgt sind, handele es sich um eindeutige Überreaktionen, so heißt es nahezu unisono. Widerspruch fällt da fast schwer: Meine Güte, wir diskutieren über die hohe Arbeitslosigkeit und einen drohenden Irakkrieg und weltweiten Terrorismus und die Gefahren des wirtschaftlichen Douple-Dip - wie nebensächlich wirken da einige zweifelhafte Flugreisen!
Natürlich, es gibt schlimmere Fälle von Amtsmissbrauch. Es gibt aber auch genügend Beispiele für Politiker, die über geringere Fehltritte gestolpert sind. Wirklich alarmierend ist die Gleichmütigkeit, mit der wir nach verbreiteter Ansicht auf die aktuellen Verfehlungen rund um Senator-Card und Miles and More reagieren sollen. Die Einrichtung in Pfründen und der Nepotismus beim Ausschöpfen von Privilegien wird fast schon als Kavaliersdelikt akzeptiert - man könnte auf die Idee kommen, die Empörung ist insgesamt deshalb so gering, weil die Regierten den Regierenden inzwischen (fast) alles zutrauen.
Dann wäre Politikverdrossenheit weit voran geschritten, dann wäre die moralische Sensibilität tüchtig auf den Hund gekommen - und eine konsequente Ahndung der Vergehen die einzig mögliche Therapie.
Wolfgang Thierses Bundestagsverwaltung wurde vom Steuerzahlerbund bereits im Oktober vergangenen Jahres in einem ausführlichen Schreiben gefragt, ob die ausschließlich dienstliche Nutzung der Flugmeilen «grundsätzlich sichergestellt» sei. Die Antwort lautete schlicht und lapidar: «Ja.» An eine Überprüfung und ernsthafte Recherche, um die Vorwürfe zu erhärten oder zu entkräften, wurde wohl kein Gedanke verschwendet.
Diese Wurstigkeit im Umgang mit ernsthaften Vorwürfen und der beleidigte Versuch, nun auf andere mit dem Finger zu zeigen, ist der eigentlich Skandal - und nicht der Stil und die Frequenz, in der realen Verfehlungen öffentlich gemacht werden.