Brüssel - Das synthetisch hergestellte Geschlechtshormon MPA ist offenbar tiefer in die europäische Nahrungskette gelangt als ursprünglich angenommen. In Berlin und Brüssel wurde bekannt, dass Getränkehersteller in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg offenbar von dem belgischen Unternehmen «Bioland Liquid Sugars» MPA-belasteten Glukosesirup bezogen hätten. Das Unternehmen gilt als Quelle der Verseuchung.
Gestern trat in Brüssel der EU-Lebensmittelausschuss zu einer Krisensitzung zusammen. Dabei sollte es in erster Linie um genaue Information und Aufklärung gehen. Verbraucherschutzkommissar David Byrne hatte zuvor die Mitgliedsländer der EU und die Industrie zur Zusammenarbeit aufgerufen, «um den schwarzen Schafen das Handwerk zu legen». Handelsbeschränkungen stünden derzeit aber nicht zur Debatte. Im schlimmsten Falle könnte die EU-Kommission veranlassen, bestimmte Lebensmittel vorübergehend vom Markt zu nehmen, wenn die Gesundheit des Verbrauchers in Gefahr ist. MPA (Medroxy-Progesteron-Azetat) gilt in geringen Dosierungen nicht als lebensbedrohlich. Außerdem gehen EU-Lebensmittelexperten davon aus, dass die verseuchten Lebensmittel schon lange konsumiert sind.
Die EU-Kommission arbeitet derzeit an dem Entwurf für eine Verordnung, der zufolge Brüssel gegen einzelne Staaten vorgehen kann, die ihre Lebensmittel- und Futtermittelindustrie nicht ausreichend kontrollieren. Der Entwurf soll Ende des Jahres vorgelegt werden. Da er von den Mitgliedsstaaten mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden muss, gelten die Aussichten für ein solches Gesetz jedoch als gering.
Von dem MPA-Skandal betroffen sind nach bisherigen Erkenntnissen Belgien, die Niederlande, Deutschland, Italien und Spanien. Der Skandal hatte Kreise gezogen, nachdem aus den Niederlanden 7500 MPA-verseuchte Schweine nach Deutschland exportiert worden waren. Die niederländischen Mastbetriebe hatten die Tiere mit Mischfutter gemästet, dem Glukosesirup von Bioland beigemischt war.
MPA ist in den USA und in Australien als Leistungsförderer in der Tiermast zugelassen. In der Europäischen Union ist es als Futterzusatz verboten.