London - Mitleid oder gar Schadenfreude empfinden die Briten nicht gerade, wenn sie die Deutschen in diesen Wochen stöhnen hören, der Euro sei ein «Teuro». Die Menschen im Vereinigten Königreich mögen zwar der europäischen Einheitswährung mit Skepsis oder offener Ablehnung gegenüberstehen, doch eines ist den Bewohnern von «Rip-off-Britain» klar: Nirgendwo wird der Verbraucher so sehr ausgenommen wie auf ihrer Insel.
Aus an die Presse gesickerten Whitehall-Dokumenten geht hervor, dass der Zeitplan zum britischen Euro-Betritt wie folgt aussieht: Vor der nächsten Parlamentswahl, die spätestens 2006 abgehalten werden muss, soll in Großbritannien ausschließlich mit dem Euro bezahlt werden. Unabhängig davon, ob er eine dritte Legislaturperiode antritt oder nicht, würde Tony Blair als der Premierminister, der sein Land in die Euro-Währung eingliederte, in die Geschichte eingehen. Staatsmänner brauchen historische Ambitionen, und Großbritanniens Euro-Beitritt ist wahrscheinlich leichter zu bewerkstelligen, als etwa den Nationalen Gesundheitsdienst oder die Eisenbahn zu modernisieren.
Um im Herbst 2005 die Euro-Geldscheine einführen zu können, darf Blair nicht mehr zu lange zaudern: Das Referendum muss im Laufe des Jahres 2003 abgehalten werden, um in einer 24-monatigen Übergangszeit die für Großbritannien notwendigen 14,5 Milliarden Münzen und zwei Milliarden Euro-Geldscheine zu drucken. Will Blair sich nicht vorwerfen lassen, den Euro durch die politische Hintertür einzuführen, müsste Königin Elizabeth II, wenn sie im Herbst mit Hermelinschleppe und Krone auf dem Haupt das Parlament eröffnet, die Absicht «ihrer» Regierung bekanntgeben, ein Referendum abzuhalten. In diesem Sommer muss Blair also anfangen, bei seinen Landsleuten in weitaus intensiverer Form als bisher für den Euro Stimmung zu machen.
Umfragen zum Euro zeigen stets, dass eine Mehrheit der Briten gegen den Euro ist. Eine der jüngsten, im Auftrag von FX Currency Service durchgeführte Studie weist 21 Prozent Euro-Befürworter und 57 Prozent Euro- Gegner auf. Die älteren Briten und auch die ganz jungen sind die stärksten Euro-Gegner. Frauen neigen dazu, dem Euro feindlicher gegenüberzustehen als Männer: Während 55 Prozent der Männer gegen den Euro sind, lehnen 59 Prozent der Frauen, die offensichtlich ums Haushaltsgeld fürchten, die Einheitswährung ab.
Die Regionen mit den meisten Euro-Befürwortern sind das anti-englische Schottland (28 Prozent) und die Finanzmetropole London. Die East Midlands, Standort vieler strukturschwacher Industrien, und Wales sind die Regionen, die am stärksten am Pfund hängen.
Auch in der Wirtschaftswelt ist die Haltung zum Euro gespalten. Nach einer ICM Umfrage unter Unternehmern bzw. Vorständen sind zwei Drittel der Unternehmer gegen den Euro. Allerdings gilt: Je mehr Angestellte eine Firma hat, desto größer ist die Offenheit des Chefs für den Euro. 65 Prozent der Unternehmer, die mehr 250 Mitarbeiter beschäftigen, befürworten den Euro.
Sogar nach Branchen lässt sich aufschlüsseln, wer für den Euro ist und wer am Pfund festhalten will. In der von ausländischen Investitionen abhängigen Automobilindustrie, der Export-abhängigen Spirituosen- oder Chemieindustrie, oder im Fremdenverkehr sind nach einer Reuters-Umfrage nahezu hundert Prozent der Unternehmen für den Euro. Bei den Banken liegt der Anteil der Euro-Befürworter bei 85 Prozent. Beim Einzelhandel ist die Stimmung fünfzig zu fünfzig, aber in den überalterten Industrien wie Bergbau oder Stromversorgung wollen fast alle Unternehmen am Pfund festhalten.
Auf beiden Seiten haben sich in den letzten Jahren wahre Armeen formiert, die nur darauf warten, aufeinander losschlagen zu können. Der JC Wetherspoon, Besitzer einer Kneipenkette, druckt jetzt schon Pfund-Slogans auf seine Bierdeckel und hängt Anti-Euro-Poster in die Klos seiner Pubs. Mick Jagger hat den Antis seine Unterstützung angeboten; Kevin Whateley, der in der TV-Serie «Auf Wiedersehen Pet» einen Briten auf Montage in Berlin spielte, will für den Euro Stimmung machen.
Positiv für Blair ist, dass die Tories neuerdings in Sachen Euro leisere Töne anschlagen. Nach der katastrophalen Niederlage bei den letzten Parlamentswahlen hat der neue Parteiführer Iain Duncan Smith erkannt, dass seine Partei nicht zu einer Gruppierung werden darf, die nur noch ein Anliegen, die Verhinderung des Euro, vertritt.
In einer Kampagne, die wirkliche politische Überzeugungsarbeit erfordert, wird Blair allerdings gegen die Medien antreten müssen. Nicht nur seit jeher erzkonservative Zeitungen wie der Daily Telegraph und Daily Mail wollen gegen den Euro Stimmung machen. Auch Rupert Murdoch will seine Blätter Sun, Times, News of the World und Sunday Times, die im letzten Wahlkampf entweder Wahlempfehlungen für Labour ausgesprochen oder zumindest positiv über Blair berichteten, anstacheln, gegen den Euro mobil zu machen. Im Zeitungsland Großbritannien muss Blair mit nur einem Massenblatt, dem Mirror, und den zwei Intelligenzblättern, dem Independent und dem Guardian, bewaffnet in einen heiligen Krieg um ein großes Stück nationale Souveränität ziehen.
Hoffnungslos ist die Position des Premiers nicht, denn die gleichen Umfragen, die belegen, dass die Briten gegen den Euro sind, bestätigen auch, dass eine Mehrheit der Menschen überzeugt ist, dass der Euro unweigerlich kommen wird.