Washington - Ein jetzt bekannt gewordenes «streng geheimes» Dokument des US-Verteidigungsministeriums schlägt vor, den Irak mit mindestens 250 000 Soldaten zu Lande, zu Wasser und aus der Luft anzugreifen. Die «New York Times» will von einem intimen Kenner des Planes zudem erfahren habe, dass die USA den so genannten Schurkenstaat von Norden, Süden und Westen zugleich attackieren wollen.
Der anonyme Pentagon-Informant machte deutlich, dass die Vorbereitungen seit dem Bekannt werden eines ersten Angriffsplanes vor zwei Monaten «deutlich vorangekommen» seien, obgleich Präsident George W. Bush weiterhin behauptet, er habe noch «keinen ausgearbeiteten Invasionsplan für Irak in der Schublade».
Pentagon-Sprecherin Victoria Clarke zeigte sich über den Bericht in der «New York Times» nicht sonderlich erbaut. Auf den Geheimplan angesprochen erklärte sie: «Es gehört zu den Aufgaben des Verteidigungsministeriums, Pläne zu entwickeln, die alle Eventualitäten einschließen, und sie von Zeit zu Zeit zu aktualisieren.»
Der als «Top Secret» eingestufte Plan, der unter der Bezeichnung «CentCom Courses of Action» firmiert, sei angeblich schon sehr detailliert und werde zur Zeit in verschiedenen Abteilungen des Pentagons «zur Feinabstimmung» überarbeitet. Dabei geht es hauptsächlich darum, die Zusammensetzung der Landtruppen sowie den Zeitpunkt ihres Einmarschs und den Beginn des Luftangriffes zu koordinieren. Bush wurde zuletzt am 19. Juni vom Chef des Central Command in Tampa (Florida), General Tommy R. Franks, über den Stand der Angriffsplanungen gegen den Irak unterrichtet.
Angeblich ist vorgesehen, eine große Luftoffensive mit mehreren hundert Flugzeugen von verschiedenen Militärbasen in insgesamt acht Ländern - darunter die Türkei und Quatar - zu starten, während zeitgleich Zehntausende Soldaten der Bodentruppen von Kuwait aus in den Irak einmarschieren. Elitekommandos sollen mit Hilfe von CIA-Agenten Depots und Laboratorien des irakischen Diktators Saddam Hussein angreifen, wo die Produktion von Massenvernichtungswaffen vermutet wird.
Der Informant räumt allerdings ein, dass noch keines der Länder, die als Basen dienen sollen, offiziell unterrichtet worden sei. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte im Juni jedoch verschiedene Militärbasen in Kuwait und Quatar sowie die Fünfte Flotte in Bahrain besucht.
Bushs bisheriger militärischer Chefberater, General a. D. Wayne Downing, hatte als Alternative einen Angriff vorgeschlagen, der - ähnlich wie in Afghanistan - nur die Luftwaffe und eine geringe Zahl von Elitetruppen in die Schlacht geschickt hätte. Aus Frustration, dass die US-Regierung gegenüber dem Irak «nur scharf redet, aber nichts tut», war Downing allerdings in der vergangenen Woche überraschend zurückgetreten.
Nach Auskunft des Informanten prüfe man im Pentagon zur Zeit auch noch, ob man Saddam stürzen könne, ohne einen groß angelegten Krieg gegen den Irak zu führen. Die Chancen dafür würde jedoch als «sehr gering» bewertet.
Obgleich der Zeitpunkt der geplanten Offensive, den Sicherheits- und Militärexperten im Frühjahr 2003 erwarten, immer noch ein Geheimnis ist, gibt es klare Anzeichen für einen Angriff. So unterziehen sich Tausende von Marines der First Expeditionary Force seit Wochen in Camp Pendleton (Kalifornien) einem Spezialtraining für den Wüsteneinsatz und sollen schon bald «Richtung Persischer Golf» geschickt werden. Zudem hat das Pentagon, nachdem im Anti-Terror-Feldzug in Afghanistan präzisionsgesteuerte Lenkwaffen knapp geworden waren, die Bestände wieder aufgestockt. Auch die Luftwaffen-Ersatzteillager im Mittleren Osten wurde nach Auskunft des Materialchefs der Air Force, General Lester Lyles, «bestens gefüllt».
Das «CentCom Courses of Action»-Dokument lässt jedoch noch viele Fragen offen. Etwa: Sollen alliierte Truppen an der US-Offensive beteiligt sein? Wie hoch könnten sich mögliche amerikanische Verluste belaufen? Wie kann das Hauptziel des Angriffes, Saddams Tötung oder Gefangennahme, verwirklicht werden?
Der Plan gibt auch keinen Aufschluss darüber, welchen Widerstand die USA von den Truppen des Diktators erwarten müssten. Ein Militär-Analytiker des Pentagons: «Die Irakis werden auf jeden Fall nicht ruhig auf ihrem Hintern sitzen bleiben, wenn wir mit 250 000 Leuten anrücken.»