Kabul - Ein Attentat bedroht das zerbrechliche Machtgefüge in Afghanistan. Gestern ist Vizepräsident Hadschi Abdul Kadir in Kabul auf offener Straße erschossen worden. Die Täter eröffneten aus Maschinenpistolen das Feuer, als Kadir in einem Wagen das Ministerium verließ. Sein Fahrer und ein Bodyguard wurden ebenfalls getötet. Die Täter entkamen in einem Pkw. Die Regierung sprach von einem «Terrorakt». Präsident Hamid Karsai berief ein Kabinettssondersitzung ein.
Der in Kandahar geborene Paschtune Kadir war im Juni von der Loja Dschirga zu einem von drei Stellvertretern Karsais berufen worden. Zudem war Kadir - wie schon vor der Taliban-Herrschaft - Gouverneur der Provinz Nangarhar. Bei der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn im Dezember 2001 gehörte er zur Delegation der Nordallianz.
Während der Sowjet-Besatzung in den 80er-Jahren war Kadir ein ranghoher Kommandeur der Gruppierung Hesb-e-Islami des konservativen Klerikers Junus Chalis. Von 1996 an lebte er im Exil - zuletzt in Deutschland. Sein Bruder, der als Märtyrer verehrte Oppositionsführer Abdul Hak, wurde im Oktober 2001 beim Versuch, eine Allianz der paschtunischen Stammesfürsten gegen die «Gotteskrieger» zu schmieden, von den Taliban getötet.
Mit Kadir fiel nach dem Sturz der Taliban bereits der zweite afghanische Minister einem Anschlag zum Opfer. Im Februar wurde Tourismusminister Rachman auf dem Flughafen von Kabul getötet - nach Regierungserkenntnissen ein Komplott hoher Staatsbediensteter.
Die Auswirkungen der Ermordung des einflussreichen Politikers sind noch nicht abzuschätzen, zumal die Stimmung in der Bevölkerung durch die Angriffe von US-Kampfflugzeuge am vergangenen Montag auf eine Hochzeitsgesellschaft in dem Dorf Kakrakai in der Provinz Urusgan aufgeheizt ist. Dabei waren am Montag 48 Menschen getötet und 117 weitere verletzt worden. Das teilten der Befehlshaber der US-Truppen in Afghanistan, Generalleutnant Dan McNeill, und der afghanischen Außenminister Abdullah Abdullah gestern in Kabul bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit.
Zunehmend mischt sich bei den Afghanen in die Trauer um die Opfer gehörige Wut auf die amerikanischen Truppen. FEL/AFP