Kann sich Afrika doch noch retten? Ein neues Programm für Hilfe zur Selbsthilfe

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Dieter J. Opitz

Berlin - Erinnert man sich der großen Hoffnungen, die 1960 an das «Jahr Afrikas» geknüpft wurden? Nach dem britischen Ghana (1957) und dem französische Guinea (1958) wurden damals auf einen Schlag Belgisch-Kongo, Britisch-Nigeria, Italienisch-Somalia und 14 französische Afrika-Kolonien unabhängig. Britanniens Premierminister sprach vom «Wind des Wandels», der die Staaten weißer Siedler im Süden nicht verschonen werde.

Harold Macmillan behielt letztlich Recht. Mit der «Nelken-Revolution» brach 1974 Portugals Kolonialreich zusammen. Südrhodesien wurde 1980 zur Republik Simbabwe. Die «Buren-Perestroika» leitete 1990 den friedlichen Machtwechsel in Südafrika ein. Seither wird Afrika vom Kap bis Kairo von seinen Kindern regiert.

In der Tat, welch ein Wandel! Nur zwei Staaten des Kontinents hatten niemals koloniale Herrschaft erdulden müssen: Äthiopien, dessen Dynastie sich auf die Königin von Saba zurückführte, und das 1847 von amerikanischen Philanthropen als Heimstatt repatriierter Negersklaven gegründete Liberia. Nun waren all die Kolonien und Protektorate, die sich die europäischen Mächte beim «Wettlauf nach Afrika» angeeignet hatten, entkolonialisiert. Doch der Jubelruf «Uhuru» (Freiheit) brachte den Menschen Afrikas bisher wenig Glück.

«Suchet zuerst die politische Herrschaft», hatte Ghanas Kwame Nkrumah seinen Landsleuten zugerufen, «alles andere wird dann folgen». Die Verheißung erwies sich als hohl. Ob die neuen Herren sich wie Nkrumah dem Ostblock zuwandten oder, wie Houphouet-Boigny an der Elfenbeinküste, den abziehenden Franzosen «Au revoir und nicht Adieu» nachriefen - Fortschritt und Wohlstand wollten nicht kommen, der Bau von Nationen in den willkürlich gezogenen Kolonialgrenzen nicht gelingen.

Belgisch-Kongo, 1960 von Brüssel wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen, wurde zum bösen Fanal. Nur Tage nach dem Machtwechsel gab es «Matata»: Die junge Armee meuterte, Politiker stritten, Stämme bekriegten einander, das rohstoffreiche Katanga fiel mit Unterstützung europäischer Konzerne und Söldner ab. Ost und West mischten sich ein, die Uno schickte 30 000 Blauhelme und verlor ihren Generalsekretär Hammarskjöld beim Abschuss seines Flugzeugs. Joseph Mobutu ergriff die Macht und behielt sie 35 Jahre, während das Land verkam.

Der Kongo war kein «Ausrutscher». Statt «Ein Mann, eine Stimme» hieß es alsbald: «Ein Gewehr - alle Stimmen». Die Staatsstreiche sind kaum zu zählen. Ein Staatsmann wie Senegals Dichter-Präsident Leopold Senghor war bewunderte Ausnahme; Blutsäufer wie Ugandas Idi Amin oder «Kaiser» Bokassa in Zentralafrika beherrschten die Schlagzeilen. Die Welt gewöhnte sich an Blutbäder wie den Biafra-Krieg (1967/70) in Nigeria oder die nun seit 20 Jahren andauernde Rebellion der negriden Stämme im Süden des Sudan gegen den arabisierten Norden.

2001 waren 13 blutige Konflikte im Gange, manche sind es noch heute. Der Kongo ist seit Mobutus Sturz und der Ermordung seines Nachfolgers in Anarchie versunken. Dutzende Stammesarmeen und Truppen aus sechs Nachbarländern kämpfen um Macht und Diamanten, und wieder sind fremde Wirtschaftsinteressen im Spiel.

In Ruanda, wo fanatisierte Hutu-Horden ein völkermörderisches Massaker an der Tutsi-Oberschicht anrichteten, nimmt die siegreiche Minorität jetzt Rache mittels traditioneller Dorfgerichte, in denen Angehörige der Opfer als Richter sitzen. Und nicht nur im «Herzen der Finsternis», wie Joseph Conrad das Gebiet um die Großen Seen nannte, schreit das vergossene Blut zum Himmel. Am Horn von Afrika fielen Zehntausende Soldaten im Grenzkrieg zwischen Eritrea und Äthiopien. In Liberia und Sierra Leone vergnügen sich Kindersoldaten brutaler Kriegsherren damit, Zivilisten die Hände abzuhacken.

Misswirtschaft und Korruption wurden zu Geißeln Afrikas. Das Sozialprodukt des Kontinents beträgt die Hälfte des italienischen. Die Bevölkerung ist zwischen 1950 und 1995 von 222 Millionen auf 728 Millionen angewachsen und zählt heute wohl an die 800 Millionen. Jeder zweite Afrikaner hat weniger als einen Euro am Tag zum Leben. Die Migrantenwelle Richtung Europa ist erst im Anrollen.

Eben jetzt treibt in Simbabwe der despotische Präsident Mugabe sein Volk auf eine Hungersnot zu, indem er den weißen Großfarmern die Bearbeitung ihres Landes untersagte, um sie zum Aufgeben zu zwingen. Ungerecht gewiss, besitzen sie noch immer 70 Prozent des nutzbaren Bodens - aber sie erwirtschaften Simbabwes Exporterlöse. Zu allen Übeln wird der Kontinent von der Pandemie Aids heimgesucht. Auf 25 Millionen wird die Zahl der Aids-Kranken und HIV-Infizierten südlich der Sahara geschätzt - 39 Prozent der Bevölkerung in Südafrika, 39 in Botswana.

Jetzt gibt es noch einmal ein Licht der Hoffnung für den «verlorenen Kontinent»: Beim G-8-Gipfel in Kanada haben die Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen mit vier afrikanischen Kollegen einen Aktionsplan verabredet. Jährlich sechs Milliarden Dollar wollen die Acht zusätzlich aufbringen, um Wirtschaftswachstum, Demokratie und Rechtstaatlichkeit zu fördern, wenn Afrikas Regierungen das Ihre dazu tun. Die G-8 reagiert damit auf eine von den reformwilligen Präsidenten Südafrikas, Nigerias und Senegals gegründete «Neue Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas» (Nepad). Diese Initiative soll der «Afrikanischen Union» als Avantgarde dienen.

Die Nepad-Länder wollen sich nicht mehr nur in Klagen über die Kolonialzeit und Betteln um Hilfe ergehen, sondern eigene Kraft und Verantwortlichkeit stärken. Dazu wollen sie ihre Fortschritte zu Entwicklung und «guter Regierung» gegenseitiger Kontrolle durch eine Gruppe angesehener Persönlichkeiten unterwerfen. Der Ansatz klingt vernünftig. Ob er Afrikas Not steuern kann, lässt sich nur erhoffen.